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Duftende Exkremente

■ Zan Pollo Theater und Werktheater Wedding spielen »Stravaganza«

Stravaganza — das ist ein klangvoller und vielversprechender Name. Wenn es überhaupt etwas gibt, das das harmonische Zusammenspiel zwischen dem Namen und der Koproduktion von Zan Pollo und Werktheater Wedding beeinträchtigen kann, dann ist das Dacia Marainis Stück. Zum einen handelt es sich um ein eher schwaches Theaterstück. Zum anderen wird darin das Scheitern der italienischen Psychiatriereform thematisiert, die in den siebziger Jahren mit der Auflösung der psychiatrischen Anstalten begann und die ehemaligen Patienten in ihre gewohnte Umgebung reintegrieren wollte. Die Aufführung dagegen handelt — auch wenn im Programmheft Texte von Ernst Herbeck und anderen Stars der westdeutschen Antipsychiatriebewegung abgedruckt sind — von nichts anderem als sich selbst, vom Theaterspielen, von der Klangfarbe, dem Rhythmus und den schillernden Bedeutungen des Namens Stravaganza.

Dacia Maraini erzählt die Geschichte von vier psychisch Kranken, die nach der Entlassung aus der psychiatrischen Anstalt zu ihren Familien zurückkehren. Sie erfahren, daß sie dort alles andere als willkommen sind und kehren schließlich, um der Abschiebung durch die treusorgenden Angehörigen zu entgehen, freiwillig in die alte Klinik zurück. Das Stück macht es sich nicht allzu schwer, die Irren sind freundlich und liebenswert, ihre Manien einfach, effektvoll und harmlos, ihr Mund tut Wahrheit kund. Die Liebe läuft immer ins Leere und der Gegensatz zwischen der verrückten und der »normalen« Welt taugt allemal dazu, wieder einmal zu zeigen, daß die einen im Grunde die anderen und die anderen die einen sind.

In der Aufführung des Zan Pollo Theaters und des Werktheaters Wedding ist all das nicht wirklich wichtig. Der Unterschied zwischen »normal« und »verrückt« ist hier völlig uninteressant, beide spielen von vornherein ineinander. Das Ensemble sucht und findet in dem Stück Anklänge an die Commedia dell'arte, arbeitet sie genau heraus und knüpft sein Spiel daran an. Ansonsten wird das Stück eher als Rohmaterial oder, wie eine Gymnastikmatte, zum Absprung benutzt. Die Inszenierung von Ilona Zarypow ist unverkennbar im klassischen Zan-Pollo-Stil gehalten: sie ist genau, ohne eng zu sein, kümmert sich um jedes Detail und läßt doch dem Spiel und den Schauspielern ihren Platz. In ihrer Orientierung auf Rhythmus, Klang und Bewegung erinnert sie an die Instrumentierung einer Partitur oder an sorgfältige Choreographie; es ist kein Zufall, daß Musik und Spiel zuweilen unmerklich ineinander übergehen und daß der Höhepunkt der ganzen Aufführung ein erstklassig getanzter und gespielter Tango ist (Choreographie: Ulrike Schladebach). Dreck, Krach, Gewalt und ähnliche Beunruhigungen haben in dieser Art Theater nicht wirklich Platz; es ist auch dort noch sauber, wo es von Unsauberkeit handelt »Meine Exkremente duften nach Zimt und Nelken«, sagt einer der Irren im Stück.

Das Zan Pollo Theater und das Werktheater Wedding haben gezeigt, daß es möglich ist, ein mittelmäßiges Stück in eine gute Aufführung zu verwandeln, wenn man es darauf anlegt, statt des Inhalts dem Namen gerecht zu werden. Die Frage ist noch, ob es den Beweis dafür wirklich braucht. Gutes Theater wird durch bessere Stücke nicht schlechter. Und diese Art gutes Theater wäre wahrscheinlich noch besser, wenn sie es sich leistete, auf einen »authentischen Hintergrund« (Programmheft) zu verzichten. Sie setzt sich dann nicht der Gefahr aus, an etwas gemessen zu werden, worum es ihr gar nicht geht. Anselm Bühling

Stravaganza bis 21. April im Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, Berlin 41, jeweils Mi.-So., 20 Uhr. Vorbestellung: 8522002.

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