: „Du weißt ja ...“
■ Viertel-Kaufleute werben auf FDP-Schildern um Autos
Je größer das Erstaunen beim Publikum, desto besser die Werbung. Ginge es nach diesem schlichten Motto, dann hätte die Interessengemeinschaft der Oster- und Steintor-Geschäftsleute werbemäßig in diesem Sommer den Vogel abgeschossen. „Das Viertel. Da führt kein Weg dran vorbei!“ Von hunderten Stelltafeln an den Straßen lockt dieses Plakat zur Zeit Bremens rollende Blechkisten auf die verschlungenen Pfade des baustellenübersäten Quartiers zwischen Wall und St.-Jürgen-Straße.
Daß am Viertel kein Weg vorbei führt, dürften ortsunkundige AutofahrerInnen kaum bestätigen können. Im Gegenteil: Irgendwo ins Viertel gerät höchstens, wer blind den überdimensionalen Umleitungswegweisern an den Zufahrtstraßen folgt. Und manche Stelle ist noch nichtmal so zu erreichen. Unter einem Notizzettel mit der Aufforderung „Großeinkauf im Viertel“ oder „irre Blaumeier-Austellung im Viertel“ heißt es auf den Plakaten denn auch neben dem flotten Slogan bereits etwas verschämter: „Du weißt ja, wie Du fahren mußt?!“
Norbert Caesar, Vorsitzender der Interessengemeinschaft und Initiator der Plakat-Aktion, erhofft sich davon die Wiederkehr der gewohnten Auto-KäuferInnen. Die Großbaustellen am Ostertorsteinweg und Steintor sieht er eher als psychologische Hürde, die mit der PR-Aktion an Bremens Straßen überwunden werden soll: „Bei Dodenhof müssen Sie sich ja auch erstmal über den ganzen Parkplatz schlängeln, bevor sie das Gelände an der gleichen Stelle wieder verlassen können, an der sie hineingefahren sind.“ Anders sei es im Viertel zur Zeit auch nicht.
90 Prozent der Viertel-Kaufleute hätten in einer Befragung über Umsatzeinbußen zwischen 15 und 25 Prozent seit Einrichtung der Baustellen Anfang April geklagt, sagt Caesar. Und das sei nicht mit der schwachen Konjunktur zu begründen, denn zu Jahresanfang seien die Antworten weit positiver gewesen.
Bei ihrer Plakataktion können sich die Kaufleute auf die Hilfe der FDP stützen. Deren – bei der Europawahl so wenig erfolgreiche – Stellschilder wurden mit der Viertel-Werbung überklebt und dürfen bis Ende Juli stehenbleiben. Dafür hat das Stadtamt eigens eine Ausnahmegenehmigung erteilt, wie dessen Leiter Hans-Jörg Wilkens bestätigt: „Eigentlich haben Geschäftsanlieger solche Baustellen hinzunehmen, aber hier versuchen wir mit einer Good-Will-Aktion besondere Härten abzumildern.“
Dabei hätten die Viertel-Kaufleute durch die Baustellen eine echte Chance, sich auf die Zeit nach dem 31.12.95 einzustellen. Dann nämlich tritt sowieso die Verkehrsberuhigung für das gesamte Viertel in Kraft, und vorbei ist es mit dem Auto-Shopping. Doch so weit denken die Geschäftsleute lieber nicht. Sie wünschen sich erstmal sehnlichst die Baustellen-Pause zwischen Ende Oktober und Ende März herbei. Dann nämlich soll das Weihnachts-Geschäft das Viertel im wahren Sinn des Wortes wieder zu Brummen bringen. Ase
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