piwik no script img

Magische OrteDrollige Thermotoasterautomaten

■ Karstadts beliebter Fox-Markt an der Kottbusser Brücke sagt ja zur Multikultur

Ich gehe sehr gerne in den Fox- Markt. Er liegt oder steht gleich hinter dem inoffiziellen Gebrauchtwagenmarkt auf der Kottbusser Brücke, am Checkpoint also zwischen Kreuzberg und Neukölln, vis-à-vis zum Maybachufermarkt. Vor knapp zwei Jahren, als das ebenfalls beliebte Bilka in dem schönen weißen Eckhaus schloß, war das Gejammer zunächst groß. Auch ich mochte das Bilka, weil in der oberen Etage stets einige Regale leer blieben, was überaus großzügig und beruhigend wirkte und bis 1989 an überraschender Stelle so etwas wie DDR-Romantik verbreitete.

Wenngleich mit völlig verändertem Gesicht ist auch der Fox- Markt ein Kaufhaus geblieben, das sich vorbildlich auf seine Nachbarschaft eingestellt hat. Inoffiziell gilt die Karstadt-Tochter, von der es in ganz Berlin keine zweite gibt, als das billigste Kaufhaus der Stadt. Das erklärt aber nicht allein den enormen Publikumsverkehr: Der Fox-Markt ist das „Ja“ des Karstadt-Konzerns zur Multikultur. Als einer der wenigen deutschen Betriebe wirbt der Fox-Markt im türkischen Lokalfernsehen und hat sich darüber hinaus in mancherlei Weise vom gegenüberliegenden türkischen Markt am Maybachufer inspirieren lassen.

So gibt es vor allem dienstags und freitags kurz vor Ladenschluß Bazar-ähnliche „happy hours“, die von der mittlerweile ziemlich berühmten Silvana Stießel moderiert werden. Egal, ob sie Mikrofasersakkos für den Herrn zum halben Preis, Kreuzberger Wein oder Markenstaubsauger vorstellt – zu allen Produkten fällt ihr ein aufmunternder Spruch ein und ein Grund, warum man dies oder jenes jetzt sofort kaufen sollte.

Im Unterschied zu fast allen anderen Kaufhausansagen möchte man Silvanas Aufforderungen auch am liebsten immer gleich folgen, weil sie so überzeugend und persönlich sind. Vor allem, wenn sie während der Moderation wie eine Schlagersängerin die Rolltreppe hoch- und runterfährt oder über komische Namen wie „Thermotoasterautomat“ mädchenhaft ins Mikrophon kichert. Einmal – es war Mai und die Zeit der Initiationsrituale – wandte sie sich „an alle Muttis, die sich selbst auch was Schickes gönnen sollten, wenn ihre Kinder zur Konfirmation oder – na, wie hieß das jetzt in der DDR? – egal: was Schickes muß man sich zu solchen Gelegenheiten einfach gönnen.“

Für den Job im Fox-Markt hat sich Silvana von einer Kollegin die türkischen Zahlen beibringen lassen, die sie sehr zum Vergnügen der Kunden hin und wieder in die Moderation einfließen läßt. Aber nicht nur die türkische Gemeinde schätzt die preiswerten Textilien: Meine Nachbarin aus Ghana zum Beispiel hat im Fox- Markt fast alle Mitbringsel für ihre 32 Brüder und 17 Schwestern gekauft, die sie demnächst besuchen wird. Die zum Teil wirklich ausgefallenen Sachen sind in einem 2 x 2 Meter großen Überseekoffer verstaut, der derzeit ihre opulent möblierte Einzimmerwohnung wie eine märchenhafte Schatztruhe dominiert.

Auch in Künstlerkreisen genießt der Fox-Markt wegen seiner exzentrischen Kleidungsangebote einen guten Ruf: zum einen als inspirierende Einkaufsstätte für „method actors“, die das Schauspiel von der Bühne ins Leben holen und aus diesem oder jenen Grund zum Beispiel mal als Dauercamper auftreten wollen/ müssen. Dann aber auch, weil man unter den wirr gemusterten Blusen oder abgefahrenen Sandaletten vom Fox-Markt oft Garderobenelemente jener Sorte entdecken kann, wo das Spießige ins Ausgeflippte umschlägt.

Solche Angebote verdankt man einer einfachen Tatsache: im Fox-Markt landen all jene Waren, die eigentlich für die biederen Karstadt-Kaufhäuser an anderen Standorten gedacht waren, sich dort aber nicht verkaufen ließen. Wo es sich nicht nur um ein simples „Zuviel“ handelt, da hilft es weiter, sich einen Moment in die Situation eines Karstadt-Einkäufers zu versetzen. Sein Leben ist anstrengend, und deswegen wird er in gewissen Situationen dazu neigen, möglicherweise am Abend eines letzten Messetags und motiviert durch leichten Alkohol- oder Drogeneinfluß, gewagte, ja riskante Entscheidungen zu treffen, um dem öden Einerlei Tausender und Abertausender nur minimal variierter grauer Anzüge und weißer Unterhosen zu entkommen.

Wenn man dann so durch die Ständer und Rollregale des Fox- Marktes läuft und die Angebote als Beweisstücke heimlicher oder unbewußter Revolten der Karstadt-Einkäufer zu sehen, dann fühlt man sich wie auf der Spur eines schönen Geheimnisses. Dorothee Wenner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen