piwik no script img

Drogenideologie

■ Wie die Pharmaindustrie ein Heer von KonsumentInnen in ihre Abhängigkeit bringt

Pharmaka werden in der Bundesrepublik vermarktet wie Waschmittel.Dabei spielt das gesundheitliche Interesse der VerbraucherInnen die kleinste Rolle, zu allererst kommt der Gewinn der chemischen Industrie, und der steht seit Jahren auf Platz eins in der BRD. Wenn es aber um das höchste Gut des Menschen, die Gesundheit, geht, müßte es da nicht andere Prioritäten geben? Brüggemann weist in seinem Bilderbuch, für das er „mehrere Zentner Zeitschriften“ auf Pharmaanzeigen vor allem aus der „Laienwerbung“ ausgewertet hat, optisch und analytisch nach, daß es auch für Medikamente keine Ausnahme gibt. Im Gegenteil: die Pharmaindustrie setzt alles daran, jede und jeden von der Wiege bis zur Bahre als KonsumentIn zu gewinnen. Dabei entwickelt der Psychologe den Begriff von der „Drogenkarriere“ und der „Drogenideologie“. Gesundheit auf Funktionsfähigkeit reduzierend, bauen die Marketingabteilungen „der Pharmaindustrie“ die Pille als Partner auf, der alle Mißstände — Depressionen, Schmerzen, Lernbehinderung, Altern... — zu beseitigen verspricht, aber natürlich bloß die Symptome verwischt beziehungsweise nicht mehr zur Geltung kommen läßt.

Diese höchst ungesunde Einstellung läßt schon das Kindergartenkind mit Versagensangst, den Normalo mit Kopfschmerzen, die Frau mit und in ihren Tagen und Umständen und den alten Menschen als nicht mehr voll Leistungsfähigen zur Pille greifen, um die durch diese Gesellschaft gesetzten Normen zu erfüllen. Bloß nicht pflegebedürftig werden, bloß nicht krankfeiern, bloß nicht versagen oder für den Partner nicht allzeit bereit sein: Davon profitiert das gemeine Wesen mit stolzem Bruttosozialprodukt und die Pharmaindustrie mit klingender Münze. Erleichtert wird dieses immer teurer werdende Gesundheitsverhalten durch die Tatsache, daß der ÄrztInnenstand nicht den Preis für seine Verschreibungen zahlen muß, sondern im Gegenteil massiv von der Pharmaindustrie für ungesunde Praktiken belohnt wird.

In Ermangelung größerer real gesundheitspolitischer Kräfte beziehungsweise durch die Ignoranz gegenüber kritischen Minderheiten in Gesundheitsläden oder unter der Ärzteschaft müssen die VerbraucherInnen sich selber schützen. Die ansprechende und umfangreiche Dokumentation verdeutlicht eingängiger als bisherige Werke die Zusammenhänge zwischen Pharmaindustrie, Marketing und Un-Gesundheitsbetrieb. So gehört dieses Buch in jede Kitteltasche, bevor der Pharma- Vertreter kommt. Gute Mittel, für die realer Bedarf besteht, haben keine Werbung nötig. Nur Pseudoinnovationen oder Neuentwicklungen mit nachteiligen Nebenwirkungen und kaum nachgewiesenem Nutzen — so die deutliche Aussage Brüggemanns — bedürfen ausgefeilter Werbekampagnen. Pharmawerbung erweckt irrige Vorstellungen und falsche Sicherheit — beim Arzt wie beim Patienten. Helmut Schaaf

Rolf Brüggemann: „Pharmawerbung — Bilderbuch einer Drogenideologie“, 1990, Mabuse Verlag, 180S., 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen