: Drogen und Musik entkoppeln
■ Das Projekt „Lass 1000 Steine rollen“ feiert Zehnjähriges
„Rockmusik hören sie alle“, mit dieser Erkenntnis startete vor 10 Jahren das Hamburger Projekt Lass 1000 Steine rollen, um Jugendliche vom Alkohol, den leider ebenfalls viele in Mengen konsumieren, wegzubekommen. Finanziert durch städtische Mittel sind aus zwei Kellerräumen inzwischen mehrere Häuser in Barmbek, Mümmelmannsberg, Kirchdorf und anderen Stadtteilen geworden, in denen die Kids Proberäume und Unterricht fast umsonst zur Verfügung gestellt bekommen und sogar ihre ersten Auftritte und Demotapes bewerkstelligen können.
„Die Leute können sich oft nicht vorstellen, daß sie sich nicht vorher mit Drogen zudröhnen müssen, um gute Musik zu machen. Die Dreieinigkeit Sex, Drugs und Rock'n Roll ist in den Köpfen drin“, beschreibt Ralf Schuster, Sozialarbeiter im Barmbeker Trockendock, dem Stammhaus des Projekts, das Problem .
Keiner der Mitarbeiter, so Schuster, besitzt daher die Illusion, die Kinder würden auch außerhalb ihres Einflußbereiches drogenfrei leben, sondern Hauptanliegen ist es, die Automation aufzuheben und zu zeigen, daß es auch ohne geht. Bei Proben, Unterricht, Auftritten und anderen Freizeitaktivitäten des Projektes gilt: Wer breit ankommt oder während der Zeit konsumiert, muß gehen. In Barmbek, erzählt Schuster, wird das inzwischen weitgehend akzeptiert, in anderen Stadtteilen kommt es darüber noch häufiger zu Diskussionen zwischen den Jugendlichen und den Projektmitarbeitern.
Dabei sieht sich Lass 1000 Steine rollen immer wieder, auch von anderen Antidrogenprojekten dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien ein Abstinenzlerverein und würden Randgruppen ausgrenzen. Ehemals Drogenabhängige, die sich noch in Ersatzprogrammen befinden, dürfen die Proberäume zum Beispiel nicht nutzen. “Genauso wie es Druckräume für Fixer gibt, muß es auch Räume geben, wo sich die Leute zurückziehen können, die noch nicht so lange clean sind, und die den Abstand zum früheren Umfeld brauchen“ erwidert Schuster solchen Anfeindungen. Zudem wird Jugendlichen, bei denen sich Drogenprobleme herausstellen, nicht die Tür gewiesen, sondern mit unaufdringlicher Beratung oder Vermittlung an Therapieeinrichtungen Hilfestellung gegeben.
Im Moment allerdings plagen das Projekt andere Sorgen: Die Stadt hat bereits in letzter Instanz entschieden, daß das Trockendock zugunsten von Sozialwohnungen weichen muß. Ein weiterer Beweis für städteplanerisches Unvermögen; gleich nebenan, hinter der glitzernden Fassade des erst kürzlich erbauten Alstercitykomplex stehen der dritte bis neunte Stock komplett leer.
Wo die zugesicherte Ersatzfläche liegt und ob sie den Bedürfnissen des Trockendocks adäquat ist, ist noch ungewiß. Möge das Jubiläumskonzert heute abend, auf dem 10 der derzeit circa 60 in den Räumen des Projektes probenden Bands auftreten, für den nötigen Lärm sorgen. Natürlich drogenfrei.
Karen Jaehrling
Markthalle, ab 17 Uhr, mit Space Cake, Le Chant des Baleines, Psycho Therapy, Alices in Wonderland, The Dragons, Sudden Fear, Muevete, Haddock, Aldi Against Allkauf, Die Dicken Tanten und Thirty Fingers
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