: Drahtzieher: DDR-Justizministerium
■ Angeklagter Ex-Richter der DDR klagte im ersten Prozeß um Todesurteile der DDR-Justiz das Justizministerium an
Im ersten Prozeß um Todesurteile der DDR-Justiz in den fünfziger Jahren hat der angeklagte Ex- Richter darauf hingewiesen, daß die Gerichte in Ostdeutschland vom Justizministerium politisch unter Druck gesetzt wurden. DDR-Justizministerin Hilde Benjamin habe „die absolute Machtposition“ des Ministeriums durchsetzen wollen, sagte der Ex-Oberrichter Hans Reinwarth (73) vor dem Landgericht.
Der wegen Totschlags, Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung angeklagte Jurist hatte zu Beginn des Prozesses den Vorwurf willkürlicher Verurteilungen zurückgewiesen. Zwei Männer und ein Ehepaar waren aufgrund von Todesurteilen des Strafsenats, an dem Reinwarth tätig war, wegen Spionage hingerichtet worden. Im Fall des Ehepaares will sich der Angeklagte gegen die Todesstrafe ausgesprochen haben.
Seit Beginn der Verhandlung versucht Reinwarth wortreich seinen Beitrag an den Todesurteilen zu relativieren. Er beschreibt sich als Gegner der Todesstrafe, er behauptet, er habe damals immer wieder versucht, vom Obersten Gericht wegzukommen. Auf die Frage des Staatsanwalts „Warum haben Sie nicht alles hingeschmissen?“ kann er aber nur sagen „So einfach war das nicht.“ Es hat keinen Sinn gemacht, „mit aller Gewalt ein Don Quichote zu werden“.
Die Sprache der von Reinwarth mitgetragenen Urteile ist zum Teil erschütternd. Im Todesurteil gegen den mutmaßlichen Spion Hermann Tiemann heißt es: „Vor Elementen wie dem Angeklagten kann sich die friedliebende Menschheit nur durch deren Austilgung wirksam schützen.“ Im Urteil gegen Friedemann – hier war Reinwarth der Berichterstatter – lautet es: Der Angeklagte habe „aus Feindschaft zum ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat“... „für die imperialistischen Kriegstreiber“ gearbeitet. Der Kölner Journalist Karl Wilhelm Fricke, der im Prozeß als Nebenkläger auftritt, nannte die DDR- Juristen in den fünfziger Jahren auch deshalb nicht zu Unrecht „politische Funktionäre“.
Dennoch – einer Verurteilung Reinwarths stehen beachtliche rechtliche Hürden entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Richtern am Volksgerichtshof der Nationalsozialisten müßte für eine Verurteilung folgender Nachweis zu führen sein: Reinwarth hätte positiv wissen müssen, daß er bei seinen Urteilen das DDR-Recht verletzt.
Dies bestritt der grauhaarige Angeklagte aber schon gleich zu Beginn. Er habe sich stets bemüht, „die Forderungen des Rechts zu beachten“. Alle seine Schuldsprüche seien auf „legaler gesetzlicher Grundlage ergangen“. dpa
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