: Doppelt genäht hält schlechter
Weil er in zwei europäischen Staaten als Asylberechtigter anerkannt ist, wurde ein Kurde von Berlin nach Frankreich ausgewiesen. 16 Jahre lebte er in der Stadt, in der Frau und Kind wohnen ■ Von Vera Gaserow
Europa ohne Grenzen? Feine Sache. Unbeschränkt hin- und herreisen ohne trennende Schlagbäume? Nichts dagegen. Mehmet Yilmaz* hingegen hat dieses grenzenlose Europa gründlich satt. Und schuld daran sind die Grenzen, die angeblich nicht mehr existieren und für einige doch mächtiger sind als je zuvor.
Mehmet Yilmaz ist Kurde aus der Türkei. 16 Jahre, fast die Hälfte seines bisherigen Lebens, hat er in Deutschland verbracht. Hier sind auch Frau und Kind, aber leben soll er in Frankreich, einem Land, das er nicht kennt und dessen Sprache er nicht spricht. So will es die Ausländerbehörde in Berlin.
Yilmaz' Geschichte beginnt im Jahr 1980. Da kam er als junger Student auf Besuch nach Berlin. Während seines Aufenthalts putschte in der Türkei das Militär. Yilmaz, Aktivist der linken Jugendorganisation Dev Genç, fand sein Fahndungsfoto in türkischen Zeitungen wieder. Seine Wohnung in Istanbul wurde während seiner Abwesenheit durchsucht, etliche Freunde verhaftet. Der damals 20jährige entschloß sich, im deutschen Exil zu bleiben und stellte, als man ihn ausweisen wollte, einen Asylantrag. Der wurde vom Asylbundesamt abgelehnt. Yilmaz, so der amtliche Tenor, sei ein von den türkischen Behörden gesuchter Krimineller und Terrorist. Es dauerte Jahre, bis das Berliner Verwaltungsgericht diese Entscheidung korrigierte: 1989 erkannte es Mehmet Yilmaz als politisch Verfolgten an.
Dies hätte ihm ein gesichertes Bleiberecht in der Bundesrepublik garantiert – wenn die Behörden nicht zufällig auf eine Sache gestoßen wären, die Yilmaz verschwiegen hatte: Aus Angst vor der endgültigen Ablehnung seines Asylgesuchs hatte er 1987 vorsichtshalber auch einen Asylantrag in Frankreich gestellt. Den hatten die französischen Behörden positiv entschieden.
Das Prinzip „Doppelt hält besser“ wurde für Yilmaz zum Bumerang. Die deutschen Behörden verlangten, daß er dorthin geht, wo sein Asylantrag zuerst entschieden worden war, nach Frankreich. „Aber was soll ich in Frankreich?“ fragt Yilmaz. „Dort kenne ich niemanden. Mein Lebensmittelpunkt ist seit 1980 Berlin.“
Yilmaz kämpfte mit allen juristischen Mitteln um seinen weiteren Verbleib in Deutschland, schaltete viele Rechtsanwälte ein, beschäftigte alle nur denkbaren Institutionen. Doch die Ausländerbehörde blieb unerbittlich.
Als Mehmet Yilmaz die Papiere für die Heirat mit der Mutter seines zweijährigen Sohnes beantragen wollte, wanderte er aus den Diensträumen der Ausländerbehörde direkt in die Abschiebehaft. Von dort aus bemühte er sich weiter um einen Eheschließungstermin. Zunächst auch mit Erfolg. Doch am Morgen des Hochzeitstages verweigerte man ihm plötzlich die Ausführung aus der Haft. Erst nach massiven Protesten ließ man Yilmaz schließlich vor den Standesbeamten treten – in Handschellen wie einen Schwerverbrecher.
Auch daß er nun mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet war, bewahrte nicht vor der weiteren Abschiebehaft. Nach zweieinhalb Monaten hinter Gittern erklärte Yilmaz sich notgedrungen bereit, nach Frankreich auszureisen.
Dort war er kaum angekommen, da erreichte ihn ein merkwürdiger amtlicher Bescheid: Man sei nunmehr bereit, ihn gemäß der Entscheidung des Gerichts als Asylberechtigten anzuerkennen, teilte das Asylbundesamt in Ziorndorf mit. Aber im selben Brief hieß es auch, man beabsichtige, ihm diese Anerkennung wegen seines Asylantrages in Frankreich wieder abzuerkennen. Zunächst könne er jedoch, so die mündliche Auskunft, zurück nach Deutschland kommen. Yilmaz setzte sich Ende November in den nächstbesten Bus nach Berlin. Dort scherte sich die Ausländerpolizei nicht um die Asylanerkennung und stellte ihn wiederum vor die Alternative: entweder Ausreise nach Frankreich oder Abschiebehaft. Vor ein paar Tagen reiste Yilmaz wieder westwärts gen Frankreich. Für drei Jahre will ihm die Berliner Innenverwaltung nun die Einreise nach Deutschland untersagen.
Für Yilmaz und seine Familie eine unerträgliche Situation. Seinen Sohn, den er bis zu seiner erzwungenen Ausreise betreut hat, kann er nicht einmal besuchen. Um das Kind zu versogen, muß seine Frau nun ihre Ausbildung unterbrechen. Die Familie in Deutschland ist zum Fall fürs Sozialamt geworden, denn von Frankreich aus kann Yilmaz nicht für ihren Unterhalt sorgen. Ohne französische Sprachkenntnisse und ohne Kontakte hat er keine Chance, dort eine Arbeit zu finden. Grenzenloses Europa – grenzenlos bürokratisch und grenzenlos stur.
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