: Doppelbödiger Entertainer
Nur ein popmusikalischer Münchhausen? Gonzales im Malersaal ■ Von Alexander Diehl
Glauben Sie diesem Mann nicht. Denn Chilly Gonzales – nicht der einzige Name übrigens, den sich der (vielleicht) als Jason Beck Geborene schon verpasst hat – pflegt zu spielen, und zwar nicht nur die üblichen Rollen, die anzunehmen sind, betritt jemand eine Bühne. Gonzales ist kein Rapper, auch wenn er rappt (und das nicht mal schlecht). Er ist auch kein Crooner, obwohl das schmeichelnde Entertainment großer Gestik, im weitesten Sinne dem Casino-Glamour mit Mafia-Koketterie entliehen, zu seinem Repertoire zählt. Und auch der Rock, mit dem Gonzales zu hantieren weiß, funktioniert zwar ordentlich gemeinschaftsstiftend – so ganz geheuer dürfte er dem Genrefreund aber auch nicht sein. Denn Gonzales' eigentliche Stärke sind nicht so sehr die verschiedenen musikalischen Genres, die er gleichermaßen beiläufig bedienen zu können scheint, sondern die doppelbödige Inszenierung.
Anfang 2000 veröffentlichte Gonzales, kanadischer Exilant in Berlin, sein (europäisches) Debütalbum beim verdienstvollen Kitty-Yo-Label. Nicht von ungefähr Uber Alles betitelt, bedeutete es so etwas wie Pop-Appeal, wo zuvor Noise- und Postrock oder knisternde Elektronika die Wahrnehmung bestimmt hatten: Jazzige E-Piano-Etüden treffen auf verlangsamte BigBeats, zauberhafte Chanson-Versatzstücke und Easy Listening-Bastarde von bisweilen süchtigmachend-kariöser Qualität. Vorausgegangen war bereits eine EP, mit der sich Gonzales in einer freien Ice T-Persiflage als O.P. – Original Prankster ins Spiel gebracht hatte: Analog zur Wettbewerbsfreude im HipHop wurde nach dem „Worst MC“ gefragt, und Gonzales stellte sich in eine Tradition von „jewish pranksters“ wie Woody Allen oder dem Stand up-Komödianten Andy Kaufman. Warum es den selbsterklärt „nicht praktizierenden“ Juden Gonzales ins Herz der Bestie nach Berlin verschlagen hat, lässt er – wie so vieles – im Unklaren. Es habe eines neuen Blickwinkels für die beargwöhnte (Musik-)Presse bedurft, heißt es auf seinem deutlich hiphoplastigeren zweiten Kitty-Yo-Album The Entertainist, und: „Sie haben es geschluckt. Es hat nicht mal fünf Minuten gedauert.“
Inzwischen hatte Gonzales an einigem des Besten angedockt, was die neue musikalische Umgebung zu bieten hat: die immer ein wenig hysterisch anmutende Breakbeat- und Störgeräusch-Posse um das Digital Hardcore-Label von Atari Teenage Riot-Kopf Alec Empire. Letzteren forderte Gonzales – neben einer nie zustande gekommenen Zusammenarbeit mit Lucilectric sein bislang vielleicht größter PR-Coup – vor einiger Zeit zum Duell um die Führerschaft im Berliner Underground heraus. Verlauf und Ergebnis der Veranstaltung, inklusive bonbonfarbener Selbstdarstellung in den Räumen der Bundespressekonferenz Unter den Linden, lässt sich heute noch im Internet verfolgen (www.kitty-yo.de). Gonzales muss gewonnen haben, weil er Empire in Humor und Unberechenbarkeit um Längen schlägt.
Wenn er jetzt – und mit Bedauern stellen wir fest: ohne die großartige Peaches – nach verschiedenen Auftritten in mehr oder weniger lichtscheuen Spelunken den Malersaal bereist, bekommen wir es mit allen (oder wenigstens etlichen) Inkarnationen des popmusikalischen Münchhausen mit der Aura eines Campingplatzpächters zu tun: mit dem Superbösewicht, dem Musik zur Kontrolle dient; mit dem Liberalen, der sich selbst jäh unterbricht, um auf diese Manipulation hinweist; der sich inszenierende (weiße) Rapper, dem Rap herzlich egal zu sein scheint; der ausgebildete Jazzpianist, der vom Jazz die Vitalität, nicht aber seine Musealisierung berücksichtigt; der begnadete En-tertainer schließlich, von dem nach knapp dreistündigem Set niemand mehr reflexhaft eine Zugabe abzutrotzen planen wird.
Dienstag, 22 Uhr, Malersaal
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