Dokumentarfilm über einen alten Tierarzt: „Ein besonderer Mensch“
Die Hamburger Regisseurin Ulrike Pfeiffer portraitiert in „Die fabelhafte Welt des Doktor Cadéot“ einen Tierarzt in der französischen Provinz Gascogne.
taz: Frau Pfeiffer, wer ist Doktor Jean Cadéot?
Ulrike Pfeiffer: Er ist ein ganz besonderer Mensch, der alles für die Tiere tut. Es gibt etwa die Geschichte, dass eine Kuh nicht kalben konnte und Cadéot ist dann nachts im Winter bei ihr auf der Weide geblieben. Ihre Besitzer hatten schon Angst, dass er dabei umkommen würde.
Sie haben einen Film über diesen über 90 Jahre alten französischen Landarzt gemacht, der so poetisch und tiefgründig ist wie die Tierfabeln von Jean de la Fontaine, den Cadéot immer wieder zitiert. Wie haben Sie als Hamburger Filmemacherin ihn denn gefunden?
Ich habe schon oft Urlaub in der Gascogne gemacht und die wussten dort, dass ich Filmemacherin bin. Und dann haben die mich gefragt, ob ich nicht einen Film über einen Tierarzt machen möchte. Aber das konnte ich mir zuerst gar nicht vorstellen. Doch dann haben sie mich überredet, ihm mal zu besuchen und danach war ich sofort umgestimmt, weil das solch ein netter Mensch ist – der ist bescheiden, lustig und beschwingt. Aber auch leidenschaftlich, wenn es um die Tiere geht. Die Leute dort haben erzählt, dass er Tag und Nacht, an den Wochenenden und an den Feiertagen zu den Tieren kommt. Er ist immer da, und wenn er einmal weg sein wird, müssen die ihre Tiere einschläfern, weil sie die Tierklinik gar nicht bezahlen können.
Ihr Film scheint völlig aus der Zeit gefallen. Doktor Cadéot hat ein Auto, ein Telefon und ein Radio, aber ansonsten scheint er die moderne Welt konsequent zu ignorieren. Wenn Sie den Film vor 70 Jahren gemacht hätten, würde er nicht viel anders aussehen.
In seinem Haus gibt es auch keine Heizung. Es stand zwar irgendwo ein Fernseher herum, aber ich habe ihn nie davor gesehen
Wie sind Sie denn so nah an diesen doch eher eigensinnig und kauzig wirkenden Mann herangekommen?
„Die fabelhafte Welt des Doktor Cadéot“, Regie: Ulrike Pfeiffer, Deutschland 2024, 86 Minuten
Der Film wird am 9.7. sowie am 17. 7. jeweils um 17 Uhr im Hamburger Metropolis-Kino gezeigt. Weitere Aufführungen sind geplant.
Zuerst fand er es komisch, gefilmt zu werden. Aber er ist ja so höflich. Einmal habe ich dem Kameramann geholfen, etwas zu tragen. Wir wollten eigentlich Cadéot auf einer Wiese filmen. Aber er ist dann gleich aus dem Bild gerannt, und nahm mir das schwere Stativ ab. Schwierig war es dagegen zuerst mit seinen drei Nichten.
Warum?
Die waren sehr misstrauisch und dachten, da macht sich ein deutsches Filmteam über ihren etwas verrückten Onkel lustig. Wir durften am Anfang nicht einmal das Haus betreten. Und als wir dann in seinem Arbeitszimmer gedreht haben, versuchten sie dort aufzuräumen, weil alles so unordentlich war. Aber genau das machte die Aufnahme ja interessant. Bei der Premiere für die Protagonist*innen habe ich ihn zuerst gar nicht wiedererkannt, weil sie ihn so herausgeputzt hatten. Er war beim Friseur gewesen, hatte komplett neue Klamotten an und eine Brille auf. Als wir da waren, hat er nie eine Brille getragen. Als ich ihn begrüßt habe, hat er gesagt: „Aber ich bin nicht Belmondo!“
1951 geboren, ist Fotografin und Filmemacherin. Sie ist Dozentin für Film an der TU Hamburg-Harburg und den Hochschulen für bildende Künste in Bremen und Hamburg und seit 2009 im Vorstand bei Cinegraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e. V.
Wie oft und wie lange haben Sie auf seinem Hof gedreht?
Wir sind über zwei Jahre verteilt fünf Mal dort gewesen, denn ich wollte alle vier Jahreszeiten haben, aber da hat der Klimawandel mir einen Strich durch Rechnung gemacht. Als wir Ende Januar dort ankamen, war es sonnig bei 23 Grad. Wir haben einmal im Herbst Nebel gehabt und das musste dann als Winter dienen. Wir wollten auch unbedingt das Schafscheren filmen, aber da sind wir wegen Corona nicht über die Grenze gekommen. Dafür waren wir dann aber dabei, als ein sehr wilder Schafbock verkauft und abtransportiert wurde. Der wäre ja beinahe entkommen und das war viel besser als das Scheren.
Man taucht während des Films in eine ganz andere Welt ein. Das hat auch mit den Bildern zu tun. Wie war Ihre Zusammenarbeit mit dem Kameramann Robert Falckenberg?
Ich bin selber Fotografin und wollte eigentlich selber die Kameraarbeit machen. Aber beim ersten Besuch redeten alle auf mich ein und ich musste mich gleichzeitig um die Technik kümmern. Als ich fertig war, waren die Schafe schon nicht mehr auf der Weide. Ich habe dann Robert gefragt und der ist beim zweiten Besuch mitgekommen, obwohl noch gar kein Geld da war und ich ihm nur die Reise und Unterkunft bezahlen konnte. Er hat genau verstanden, welche Bilder ich haben wollte. Ich würde auch meinen nächsten Film wieder mit ihm machen, denn er hat Humor und keine Angst. Als der Schafbock so gekämpft hat, wäre ich weggelaufen.
Die immer etwas verträumte Stimme des Erzählers Jens Harzer verstärkt auch die poetische Stimmung des Films. Er sagt Sätze wie: „Gleich beginnt es zu regnen.“ Die hört man in keinem anderen Dokumentarfilm.
Ich fand es wichtig, mich von denen abzusetzen, weil ich davor ganz andere, experimentelle Filme gemacht habe. Ich hatte am Anfang noch weniger Text, aber Arte hat sich ja ein bisschen beteiligt und die wollten unbedingt eine durchgehende Kommentarstimme. Aber da habe ich gesagt, dass das gar nicht geht. Jens Harzer ist Schauspieler beim Thalia-Theater und weil ich gleich neben dem Thalia wohne, habe ich ihn mal getroffen und ihm mein kleines Drehbuch gegeben. Nach drei Tagen hat er mich angerufen und gesagt, dafür würde er gerne ein bisschen was einsprechen.
Ein anderer Coup ist, dass Helge Schneider die Filmmusik für Sie gemacht hat. Wie haben Sie das denn geschafft?
Ich hatte schon bei meinem Film über Werner Nekes mit Helge Schneider gearbeitet und mir lange überlegt, wie ich ihn davon überzeugen konnte, die Musik zu machen. Und dann hat er bei irgendeiner Show, die ich mir angesehen habe, erzählt, dass er eigentlich Tierarzt werden wollte.
Helge Schneider ist auch ein Kauz wie Doktor Cadéot, aber hier macht er nicht die kauzig-komische Musik, die man sonst von ihm kennt. Stattdessen spielt er auf verschiedenen Instrumenten wie Klavier, Spinett, Akkordeon und Schlagzeug sehr einfühlsam und einfallsreich.
Dabei hat er den Film nie gesehen. Ich habe ihm nur die Situation und die Atmosphäre der einzelnen Sequenzen beschrieben, denn er wollte auch seine Freiheit als Künstler behalten. Und weil er in der Coronazeit keine Tourneen machen konnte, hatte er ganz viel Zeit und schickte mir dann so viel Musik, dass ich gar nicht alles unterbringen konnte. Doch er gab mir seinerseits die Freiheit, die Musik so zu verwenden, wie es mir gepasst hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich