: Dogmatische Einengung
betr.: „Homoehe? Ein Luftschloss“, Interview mit Martin Dannecker, taz.mag vom 28. 7. 01
„Also ich mag das Anstößige an Schwulen. Ich mag die Reibungsflächen. Für mich wäre es eine Katastrophe, wenn beispielsweise die schwule Ehe zu einer völlig durchschnittlichen Akzeptanz führen und so Unterschiede verwischen würde.“ (Interview, S. 57 in Hutter et al., Ausgrenzung macht krank, Westdeutscher Verlag 2000).
Diese Aussage illustriert einen Typus homosexueller Männer, den wir „kopfschwul“ genannt haben. Der Kopfschwule zeichnet sich dadurch aus, dass er die eigene Normüberschreitung zu etwas Besonderem stilisiert. Dabei strukturiert er sein Intimleben und seine Partnerschaften ganz der Abwehr bürgerlicher Werte. Ohne Martin Dannecker anhand weniger Textsequenzen dieser Kategorie homosexueller Männer zuordnen zu können, bleibt doch festzustellen, dass seine Ausführungen dem obigen Zitat sehr ähneln. Denn Dannecker beklagt das schwule Normalitätsverlangen von heute, die Normalität der Schwulen sei nicht attraktiv. [. . .] Mag diese Meinung auch mittlerweile ziemlich antiquiert daherkommen, wie Rolf Gindorf zu Recht bemerkt, der mit ihr verworbene moralische Impetus ist es jedoch, der so abstoßend wirkt, weil er diejenigen Schwulen, die ihr Leben nach anderen Bedürfnissen bzw. Vorstellungen gestalten, diskreditiert und zu schlechten, weil „angepassten“ Schwulen degradiert. [. . .] Geradezu erfreulich ist es daher, dass die Schwulenbewegung von heute diese dogmatische Einengung überwunden hat und die Vielgestaltigkeit sexueller und geschlechtlicher Identitäten als Bereicherung begreift.
Mehr als Klappen und Büsche im Park fehlen vielen schwulen Männern gesellschaftlich legitimierte Vorbilder für gleichgeschlechtliche Intimität und Partnerschaft. Die Homoehe kann hier zukünftig als sozialer und materieller Kitt wirken, um schwulen Beziehungen in einer durch heterosexuelle Normen geprägten Gesellschaft nicht nur rechtliche, sondern auch psychische Stabilität zu verleihen. Es freut mich daher sehr, dass die rot-grüne Bundesregierung dieser Forderung nachgekommen ist.
JÖRG HUTTER, ehem. Mitarbeiter der Bremer
SchwulLesbischen Studien
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