: Doch nicht so global
Globalisierung ist das Zauberwort unserer Tage. Die Politiker kuschen, sobaldder Begriff Erwähnung findet. Lohnerhöhungen und Steuererhöhungen sind globale Standortnachteile. All das ist Quatsch, behauptet der US-Ökonom Paul Krugman in seinem neuen Buch ■ Von Hannes Koch
Der US-Ökonom Paul Krugman spielt gern die Axt im Walde. Seine wissenschaftlichen Konkurrenten haben nichts zu lachen: „Jeder macht Fehler. Doch es verwundert schon, wenn angebliche Experten nicht wissen, wo man die einfachsten Industriestatistiken findet.“ Derartige Herabsetzungen erhöhen nicht nur die Kurzweil beim Lesen von Krugmans Neuerscheinung „Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg“, sondern fördern darüber hinaus seinen Ruf als scharfzüngiger Wirtschaftswissenschaftler, der seine Nase gerne in die Politik steckt. Das Original, „Pop Internationalism“, erschien 1996.
Wenn das Buch eine größere Leserschaft findet, dürften sich einige heilsame Effekte einstellen. Krugman, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), stutzt die angeblich so gefährliche Globalisierung auf das zurück, was sie wirklich sei: Ein, aber längst nicht der wichtigste Faktor für die Wirtschaftsentwicklung im Inland. Deshalb sei es auch völlig verfehlt, von einem Wettbewerb zwischen den Staaten auf dem Weltmarkt zu sprechen, dem man die einheimische Politik unterordnen müsse.
„Staaten sind keine Unternehmen“, wird Krugman nicht müde zu betonen. Der Lebensstandard der Bevölkerung hänge von der inländischen Nachfrage weit mehr ab als vom Handel mit ostasiatischen Tigerstaaten. Der Ökonom (Jahrgang 1953), der zum Beraterstab von US- Präsident Ronald Reagan gehörte, nimmt für sich in Anspruch, allgemein nachprüfbare Erkenntnisse aus dem Studium der Wirtschaftsstatistiken zu gewinnen.
Anfang der Neunziger hätten die Exporte der USA nur rund zehn Prozent des US-amerikanischen Bruttosozialprodukts – des Werts aller hergestellten Güter und Dienstleistungen – erreicht, so Krugman. Die Folgerung: „Die USA sind noch immer zu 90 Prozent eine Volkswirtschaft, die für den eigenen Bedarf erzeugt.“ Der geringen Bedeutung des Exports entspreche die marginale Rolle von Importen. Nur „0,07 Prozent des Volkseinkommens“ und so gut wie keine Jobs seien den USA durch Einfuhren aus konkurrierenden Ländern 1990 abhanden gekommen.
Warum also aufregen über die aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie Thailand und Mexiko, deren billige Produktion angeblich die Arbeitsplätze in den Ländern der ersten Welt bedroht? Warum also dem Standortdenken alles unterordnen?
Daß Staaten – auch Deutschland – eben keine Aktiengesellschaften sind, sondern Volkswirtschaften, die ganz anderen Bedingungen unterliegen als Konzerne, erklärt Krugman an einem Beispiel: Während der Autokonzern General Motors darauf angewiesen sei, fast alle Fahrzeuge, die er herstellt, bei KonsumentInnen außerhalb der Firma feilzubieten – die Belegschaft selbst kauft ja nur einen kleinen Teil –, sei es bei einem Staat genau umgekehrt. Die Bevölkerung – gewissermaßen die Belegschaft – kaufe nahezu die komplette Inlandsproduktion. Aus diesem Grund spiele der internationale Wettbewerb eine geringe Rolle.
Zunächst einmal ist sich jede Nationalökonomie selbst genug. Krugman freilich streitet nicht ab, daß eine Konkurrenz zwischen Wirtschaftsnationen existiert und Importe auch Arbeitsplätze vernichten können, doch er will die beherrschende Rolle relativieren. Ulrich Fritsche, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), weist darauf hin, daß der MIT-Forscher immer wieder warnt, nicht hinter „den einmal erreichten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zurückzufallen“.
Wenn Krugman etwa die Lehre des britischen Nationalökonomen David Ricardo über die komparativen Vorteile anführt, derzufolge auch Volkswirtschaften mit geringer Produktivität erfolgreich am internationalen Handel teilnehmen können, schwächt er die Argumente der Wettbewerbsideologen. Alles in Butter also? Müssen sich die BundesbürgerInnen keine Sorgen machen, wenn VW seine Fabrik in Tschechien baut, wenn polnische Baufirmen Berliner Mittelständler mit halben Preisen aus dem Rennen werfen?
Krugman schrieb sein Buch aus US- amerikanischer Sicht – die mitteleuropäischen Verhältnisse sind anders. 1997 erreichten die Importe in die Bundesrepublik immerhin 25 Prozent des Werts des Bruttosozialprodukts, und die Exporte lagen bei etwa 27 Prozent.
Da Deutschland im Vergleich zu den USA ein kleines Land ist, spielen auch die zunehmende internationale Verflechtung und die daraus möglicherweise entstehenden Nachteile eine größere Rolle – theoretisch. Praktisch steht die Bundesrepublik in der internationalen Konkurrenz sehr gut da: Die Exporte übersteigen die Importe bei weitem. Entgegen den Horrorgemälden der Wirtschaftsverbände zeigt sich, daß Kostensenkung, Lohnstabilität und Deregulierung gegenwärtig nicht notwendig sind, um konkurrieren zu können.
Die Krugmansche Relativierung des Globalisierungsarguments ist also auch hier angebracht. DIW-Ökonom Fritsche bringt es auf diesen Punkt: „Vier Millionen Arbeitslose in Deutschland haben nichts mit mangelnder internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu tun.“ Womit dann? Mit zu geringer Nachfrage im Inland, würden Fritsche und Krugman sagen.
Der politische Kern des Buches liegt denn auch in seinem Plädoyer für eine stärkere Berücksichtigung der einheimischen Faktoren einer Volkswirtschaft: Steigerung der Produktivität, des Konsums, der Sparquote, Senkung der Zinsen, wenn die Binnenkonjunktur lahmt. Hier lag Krugman mit Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine auf einer Linie. Während es bis vor kurzem freilich noch so aussah, als ob die Nachfragetheorie eine auch politisch wirksame Renaissance erlebte, ist diese Entwicklung für Deutschland nun vorerst abgebrochen.
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