: Doch, die können schreiben
■ Wenn down under nach ganz oben kommt: Australische Literaturtage vom 19. April bis zum 16. Mai in Hamburg
Wahrscheinlich liegt es am Ozonloch. Deshalb müssen die Australier so oft zu Hause bleiben. Um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, schließen sie sich zu großartigen Bands zusammen oder drehen eigenwillige Road-Movies, die auch in fernen Ländern wie Island und Deutschland erfolgreich sind. Außerdem haben sie mit Heartbreak High die definitive „Anderssein-ist-smarter-verpiß-dich-Spießer“-Highschool-Serie auf dem Weltmarkt durchgesetzt. Aber Literatur? Das einzige, was der gewöhnliche Mitteleuropäer an Australischem liest, ist das Etikett auf einer Fosters Bierflasche. Ab Mittwoch werden diese Kulturdefizite massiv ausgetrieben. Dann startet Australien literarisch, ein vierwöchiger Intensivkurs über Literatur von down under.
Das Englische Seminar an der Universität Hamburg darf sich zugute halten, das in der Bundesrepublik bislang umfangreichste Paket australischer Literatur geschnürt zu haben. Organisiert wird das Literaturfestival von Professor Gerd Dose, der Doktorandin Bettina Keil und Studenten mit einem Faible für unbekannte Literatur. „Einerseits wird es eine Vortragsreihe zum Thema Literatur und Bericht zur politischen sowie gesellschaftlichen Situation in Australien geben“, meint Bettina Keil.
Diese Vortragsreihe, zu der aus dem gesamten Bundesgebiet Fachleute nach Hamburg kommen, beleuchtet die in Deutschland weitgehend unbekannte Kultur und Literatur des Landes aus den verschiedensten Blickwinkeln. Von der Mythisierung der irischen Sträflinge, Goldgräber und Bushranger bis zu Aborigines und australischer Literatur reicht das Veranstaltungsangebot. Bettina Keil: „Genauso ist aber auch eine Riesenparty geplant, eine Filmretrospektive und eine Lesereihe mit australischen Schriftstellern. Auf jeden Fall wollen wir keine wissenschaftliche Nabelschau betreiben, sondern gute Information und Unterhaltung bieten“.
Dafür kommen einige der profiliertesten Autoren Australiens nach Hamburg. Zwischen dem 8. und 16. Mai werden David Malouf, Rodney Hall, Archie Weller, Peter Carey, Marion Halligan, Walter Kaufmann und Rosie Scott australische Literatur zur Zeit vorstellen. Ihre Unterschiedlichkeit macht auch einen der Reize dieser Literaturwoche aus.
Die in Australien lebende Neuseeländerin Rosie Scott hat sich einen Namen gemacht mit fiebrigen, in miesen Hinterhöfen und hart an der Bordsteinkante spielenden feministischen Krimis. Ihre Erzählungen Tage des Ruhms (1993) und Raubstadt, die in diesem Jahr auch in der Bundesrepublik erscheinen wird, sind pumpende, rasiermesserscharfe Schilderungen eines Alptraums, der alle Metropolen dieser Welt unsichtbar verknüpft.
„Die Geschichte Australiens ist fast immer pittoresk. Sie liest sich wie eine Ansammlung der wunderbarsten Lügen; und es sind alles frische, neue Lügen, keine schimmligen, alten, abgestandenen.“ Dieser Einschätzung Mark Twains über den Fünften Kontinent spürt Peter Carey, auch international der bekannteste Schriftsteller des Landes und Drehbuchautor von Wim Wenders' Bis ans Ende der Welt, in seinen Romanen immer wieder nach. So etwas wie ein alternatives Nationalepos ist sein Roman Illywhacker (1991). Doch was stimmt, wo ist oben und unten, richtig und falsch, wenn der Protagonist gleich zu Anfang feststellt: „Ich bin ein schrecklicher Lügner, und ich bin immer schon ein Lügner gewesen. Ich sage es lieber gleich, damit das klar ist.“
Beide, Scott und Carey, stehen für eine selbstbewußte Szene, die sich aufmacht, nach Musik und Film nun auch australische Literatur in Übersee zu etablieren. Es scheint, als würde dieses Unternehmen ebenso gut gelingen.
Karsten Neumann
Vorträge zur australischen Literatur: 19.4. „Die Geburt des Theaters auf einem theaterlosen Kontinent“ 20.4. „Träume in ,Austerica'“ 21.4. „City Poetry und Bush Poetry“ 24.4. „Australien literarisch“ Alle Vorträge finden in den Philturm-Hörsälen der Universität, Von-Melle-Park 6 statt und beginnen jeweils um 19 Uhr. Informationen zu weiteren Veranstaltungen und den Autorenlesungen im Mai finden sich in den kommenden „Literarischen Wochen“.
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