: Dioxin im Kindergarten
■ In rund 400 Kindertagesstätten im Bundesgebiet tickt eine Zeitbombe / Sie gehören zu einer Baureihe, bei der Mitte der 70er Jahre dioxinhaltige Holzschutzmittel verwendet wurden
Unerklärliche Krankheitssymptome in einem schleswig–holsteinischen Kindergarten brachten es ans Licht: in rund 400 Kindertagesstätten - alle von einem mittlerweile aufgelösten Celler Architekturbüro gebaut - sind dioxinhaltige Holzschutzmittel verwendet worden. Die Folge dieser Erkenntnis ist ein katastrophales Behördenwirrwarr. Obwohl jeweils vom gleichen Gift betroffen, werden einige Kindergärten geschlossen, anderen wiederum Unbedenklichkeit attestiert. Das Bundesgesundheitsamt als einzig zentrle Instanz wiegelt dagegen ab: in einer Stellungnahme Ende letzter Woche beschieden die Kontrolleure, die gemessenen Werte ließen weder eine akute noch eine langfristige Gesundheitsgefährdung befürchten. Dagegen stehen die Erfahrungen der betroffenen Kinder und Erzieher/innen.
Hamburg (taz) - Das gabs selten: Die Bediensteten der Polizeiwache empfingen die Demonstrant/inn/en per Handschlag. Etwa 120 Eltern waren am 15. November durch Hamburg–Harburg gezogen, um anschließend in der Wache kollektiv Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen Unbekannt zu stellen. „Wir werfen den Behörden vor, daß sie, obwohl sie um die Brisanz dieser Holzschutzmittel hätten wissen müssen, einem Holzbau - hier das Kinderzentrum Harburg (KIZ) - keine Aufmerksamkeit schenkten“, hieß es in der Begründung der dann von 35 Personen gestellten Anzeige. Die Polizisten, größtenteils selbst Familienväter, zeigten Verständnis. Die holzschutzmittelbehandelten Innenräume des „KIZ“ stehen nämlich schon seit längerer Zeit in Verdacht, Polychlorphenole (abgekürzt PCP), Dioxine und Furane auszugasen. Geschlossen aber wurden sie Anfang November und gegen das ausdrückliche Votum der Behörden erst, als die besorgten Eltern massiven Druck ausübten. Das „Kinderzentrum“ stammt aus einer Serie von insgesamt über 400 Gebäuden - vor allem Kindertagesstätten, aber auch Gemeindehäuser, Sonderschulen, Schwimmbäder, Turnhallen und Wohnhäuser - die das heute nicht mehr existierende Celler Architektenbüro „Cooplan/Cootrakt“ Mitte der 70er Jahre entwarf und mit Holzschutzmitteln behandeln ließ. „Cooplan“ hatte sich damals auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1968 verlassen, wonach diese Mittel wie zum Beispiel „Xyladecor“ aus dem Hause Dynamit–Nobel ungefährlich seien. Unerklärliche Symptome Daß dem nicht so ist, zeigte als erstes der Fall Schenefeld. In einer Kindertagesstätte der „Arbeiterwohlfahrt“ im schleswig–holsteinischen Schenefeld klagten Erzieher/innen und Kinder über unerklärliche Krankheitssymptome: Fieber, Erbrechen, Übelkeit, Durchfall, Schleimhautentzündungen, Augenreizungen und anderes mehr. Bis eine Messung von Professor Selenka und seinen Mitarbeitern vom Hygiene–Institut der Ruhruniversität Bochum die Erklärung brachte: Die Kinder dort atmeten umgerechnet 0,315 Billionstel Gramm Äquivalent des supergiftigen Seveso–Dioxins pro Kilo Körpergewicht und Tag ein, die Erzieher/innen 0,19; eine spätere Messung erbrachte nach Information des Bundesgesundheitsamtes sogar den Spitzenwert von 1,9 Billionstel Gramm. Auf Druck der Eltern wurde die Kindertagesstätte im März dieses Jahres geschlossen und die Kinder in Ersatzräumen untergebracht, und siehe da: die „unerklärlichen Symptome“ verschwanden. Der Fall Schenefeld rief nicht nur die Presse, sondern auch die Behörden auf den Plan. Die gemessene Konzentration sei ungefährlich, versicherte das Bundesgesundheitsamt dem Schenefelder Träger in einem Gutachten. Bei Dioxinen und Furanen, die zu den gefährlichsten Giften auf der Welt gehören, gibt es zwar keine offiziellen Grenzwerte, das Amt aber nannte schon damals die gleiche Richtgrenze, auf die sich erst vergangene Woche seine „Innenraumlufthygiene–Kommission“ nach aufwendigen Expertensitzungen aufs Neue einigte: Die „tolerierbare Gesamtbelastung“ läge „nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung eines Sicherheits faktors“ im Bereich von ein bis zehn Billionstel Sevesogift–Äquivalent pro Kilo Körpergewicht und Tag, und zwar „lebenslang“. Daß die Schenefelder auch inner– und unterhalb dieser Konzentrationen krank wurden, führte ein Mitarbeiter des Bundesgesund heitsamtes gegenüber der taz auf „Infektionskrankheiten“ zurück, die ja in Kinderläden häufig seien. Die BGA–Werte, die von Experten als „unverantwortlich hoch“ eingestuft werden, mögen auch noch einen anderen Hintergrund haben. „Hätten wir zur Schließung der Dioxin–Kindergärten geraten“, vertraute Bundesgesundheitsamt–Mitarbeiter Dr. Rottard schon im September dem „Stern“ an, „wäre eine Lawine von Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe ins Rollen gekommen“. „Ob diese Werte des BGA richtig sind, kann man im Moment noch nicht sagen“, meint auch Chemieprofessor Selenka von der Ruhruniversität, der derzeit im Auftrag des nordrhein–westfälischen Arbeitsministeriums alle dioxinverdächtigen Kindertagesstätten in NRW untersucht - nach einer der taz vorliegenden Liste der „Cooplan“–Bauten sind das zum Beispiel allein zwölf in Köln und sechs in Möchengladbach. Der Chemieexperte weist darauf hin, daß es ja auch „Kombinationseffekte“ zwischen PCP, Dioxinen und Furanen geben könne - eine Studie über den Krankenstand in Schenefeld soll daraüber nun Aufschluß geben. Das Labor Professor Selenkas, hat neben Schenefeld auch in weiteren schleswig–holsteinischen Kindergärten Proben gezogen. 7 von 23 Kindertagesstätten des „Diakonischen Werks“ sind dort deshalb vorsorglich geschlossen worden (abgesehen von Schenefeld auch in Norderstedt, Tellingstedt, Klint, Osdorf, Schleswig und Rendsburg), vier davon sind auf Grund von Unbedenklichkeitsbescheinigungen aber schon wieder geöffnet. Bei anderen lie gen die Meßergebnisse noch nicht vor. Die bereits gemessenen Werte seien sehr unterschiedlich, so die Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes Schleswig– Holstein zur taz, man wolle nun zur Frage Schließung oder Wiedereröffnung Gespräche mit dem Sozialministerium führen, denn auch die örtlichen Behörden gingegn sehr unterschiedlich mit diesem Problem um. 300fach höhere Dosis ist tolerabel Das ist nicht nur in Schleswig– Holstein und Hamburg so, sondern auch in Niedersachsen. So läßt z. B. die Stadt Hannover im Moment vier von 17 durch „Cooplan“ gebaute Kindertagesstätten von dem Bochumer Uni–Institut untersuchen. Doch diese Untersuchung, so hat das Gesundheitsamt schon vorab erklärt, geschieht „nicht wegen vermuteter Gefahren“. Denn selbst bei einer 300fach höheren Dosis, als der in Schenefeld und Norderstedt gemessenen, sind für die hannoverschen Amtsärzte „biologische Veränderungen auszuschließen“. Für sie „stellt sich das diskutierte Probelm wissenschaftlich und ärztlich gar nicht“. Man untersuche nur „wegen der verständlichen Sorge vieler Eltern und des Personals der Kindertagesstätten.“ Am östlichen Stadtrand von Hannover, in der Ortschaft Lehrte–Ahlten, ist dagegen vor zehn Tagen der Kindergarten mit der Begründung geschlossen worden, im Zweifelsfall habe die Gesundheit der Kinder immer Vorrang. Man hatte im Staub des Kindergartens doppelt soviel PCP wie in Schenefeld gemessen und wird nun Kinder und Personal auf Dioxin im Blut untersuchen. Unterdessen kämpfen in Hannover Eltern und Pädagogen noch immer darum, wenigstens in allen 17 „Cooplan“–Kindertagesstätten Messungen durchführen zu lassen. Einzig die Arbeiterwohlfahrt als Träger hat ihre gesamten 29 hannoverschen Kindergärten vom Bremer Umweltinstitut untersuchen lassen. In 9 Kindergärten, so das jetzt vorliegende Ergebnis, wurden die giftigen Holzschutzmittel verwendet. Allerdings ist nur in 3 Fällen die tragende Holzkonstruktion damit imprägniert, so daß sich die Schadstoffquelle nicht einfach abbauen läßt. In diesen Kindergärten soll nun erstmal auf Dioxin gemessen werden. Man kann ja die Kinder zu Hause lassen Von der völlig unzulänglichen Behördenreaktion können auch die Eltern in Hamburg ein Lied singen. Drei Kindergärten sind Ende Oktober/Anfang November geschlossen worden: neben dem in Harburg einer im Wandsbeker Tucholskyring und einer in der Rahlstedter Massowerstraße - allesamt nur auf Initiative von Träger und Eltern und meist gegen den heftigen Widerstand der Bezirks– Gesundheitsämter, denn nur die, und nicht die Landesbehörden, haben die Kompetenz zur Schließung. In der Wandsbeker Tagesstätte, in der gruseligerweise die Kaulquappen im Aquarium ständig Mißbildungen und Geschwüre entwickelten, ließ der kirchliche Träger auf eigene Kosten für 3.000 Mark Messungen durch eine Privatfirma vornehmen. Ergebnis: stolze 1,6 Billionstel Gramm Seveso–Äquivalent. Gesundheitssenatorin Christine Maring, die trotz hinreichenden Verdachts im letzten Jahr Dioxin– Messungen noch für überflüssig hielt, nun aber immerhin einen deutlich geringeren Wert (0,1 Billionstel Gramm) als das Bundesgesundheitsamt als tolerierbar ansetzt, riet dem unwilligen Bezirksgesundheitsamt daraufhin zur Schließung. Und im Harburger „Kinderzentrum“ ließ die SAGA als Hauseigentümerin erst im Juli in nur zwei Räumen Proben auf PCP vornehmen, die weder repräsentativ für die gesamte Gefährdung waren noch den Eltern mitgeteilt wurden, zumindest nicht bis Ende Oktober. Noch am Vorabend der Schließung, die die Eltern schließlich durchsetzten, sprach sich das Gesundheitsamt gegen eine solche aus. „Wem der PCP–Wert zu hoch ist, der kann ja seine Kinder zu Hause lassen“, hieß es. Dementsprechend sauer sind Vertreter der „Elterninitiative KIZ“: „Die Behörden haben uns doch nur belogen und hinten gehalten. Wir schicken unsere Kinder nicht mehr ins KIZ, auch wenns wiedereröffnet werden sollte.“ Denn inzwischen liegen auch die Dioxin–Meßergebnisse vor: immerhin 1,045 bzw. 0,84 Billionstel Gramm. Ute Scheub/Jürgen Voges
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