: Dinosaurier Europa
■ E U R O M U F F E L
Das magische Datum: 1992. Es fällt zusammen mit der 500 -Jahrfeier der Entdeckung Amerikas. Dabei könnten einem die Tränen kommen: wie ist es möglich, daß sich in diesen 500 Jahren nichts geändert hat?
Europa als „Festung“ - und nicht mehr nur die der Zwölf, mit einem „Kern“ aus Nato- und Warschauer-Pakt-Stars (mit Deutschland als Zentrum) und außenherum Puffer- und Arme -Leute-Zonen: Europa Superstar, das die übrige Welt als Objekt seiner Politik betrachtet, wie einst zu Zeiten des Kolumbus.
Dabei könnte unser Kontinent gerade aufgrund seiner Erfahrungen eine zentrale Rolle spielen sowohl bei der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen dem verschwenderischen Norden und dem hungernden Süden wie bei der Verhinderung immer irreversiblerer Schäden auf unserem Planeten.
Beschleunigt durch den Verfall im Osten, dessen Tempo offenbar jegliches Denken blockiert, entsteht nun jedoch ein Europa mit der typisch abendländischen Illusion, sich die Erde untertan machen zu können, ohne sie unwiederbringlich zu zerstören. Leider haben wir uns abgewöhnt, die aktuelle Entwicklung, wenn überhaupt, als Exzeß des Fortschrittsdenkens, der Modernität zu kritisieren. Nichts ist falscher als das - es handelt sich vielmehr um einen Faktor absoluter Rückständigkeit: das Europa, das derzeit entsteht, ist eine Art Dinosaurier - statt auf Demokratisierung, Dezentralisierung, Mündigkeit setzt es auf Macht, Konzentration, auf antiquierte Regulierungsformen, die sich schon bisher als ineffizient zur Lösung der brennenden Fragen gezeigt haben.
Das Problem ist freilich, daß auch die europakritischen Stimmen bisher kaum Konzepte haben, die sich diesen dominierenden archaischen Vorstellungen bündig entgegenstellen lassen. Das gilt auch für uns Grüne. Und wir werden, ohne es zu wollen, diese Entwicklung so lange fördern, wie wir nicht erkennen, daß auch wir uns den Fragen des künftigen Europas mit höchster Priorität widmen müssen, statt uns zu verweigern und die Aktionen den Konzernen und den Politikern zu überlassen.
Sergio Andreis
Der Autor ist außen- und verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen in der italienischen Abgeordnetenkammer
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