piwik no script img

Digital, interaktiv und konsumfördernd

■ Hamburgs Fernseh-Zukunft hat noch nicht begonnen: Pilotprojekt kommt nur mühsam in die Gänge / Technik testen oder Konsumenten? / Auch Finanzierung noch unklar Von Susanne Lob

„Dabei sein ist alles“ – so die Devise, wenn es um die Zukunft des Fernsehens geht. Aber wie, wann und mit wem die vielbeschworene neue TV-Ära beginnen wird, weiß offenbar niemand so recht. Aus diesem Grund wurde das Hamburger Pilotprojekt, in dem digitales und interaktives Fernsehen getestet werden sollen, auch erst einmal verschoben. Nicht in diesem Sommer soll das Projekt starten, sondern frühestens Mitte 1996.

„Es geht weiter“, war noch im Mai das Ergebnis einer Krisensitzung aller Beteiligten in der Hamburger Handelskammer. Die Zahl der Testhaushalte ist der eine große Streitpunkt, die Technik der zweite. Für die ist die Telekom zuständig, zusammen mit dem holländischen Elektronikkonzern Philips. „Nur wenn die Telekom 1 000 Kabelhaushalte mit ausreichenden technischen Möglichkeiten ausstattet, macht das Testprojekt Sinn“, erklärt Dr. Ralf Heublein, Geschäftsführer der Hamburger Betreibergesellschaft für digitales interaktives Fernsehen (DiTV). Bisher sollten nur 100 soweit ausgerüstet werden, daß sie den Anforderungen der Programmanbieter genügen.

Es sind vor allem die großen lokalen Medienunternehmen, die neue Programme im Testlauf ausprobieren wollen: Premiere, Studio Hamburg, Ufa, die großen Presseverlage Springer, Bauer und Gruner & Jahr sowie der Otto-Versand. Die Telekom, Betreiberin des Kabelnetzes, will dagegen Technik testen. Das geht theoretisch auch mit 50 Teilnehmern. Noch ist nichts entschieden, aber wahrscheinlich wird die Telekom nachrüsten: Philips wurde gebeten, ein Angebot für 1 000 Teilnehmer zu unterbreiten. Alles vor allem eine Kostenfrage: „Wenn's ums Geld geht, wird eben gepokert“, kommentiert Hans Brinkmann, Pressesprecher der Telekom Hamburg.

Grundlage für das Hamburger Pilotprojekt – und für fünf weitere in Deutschland – ist eine neue Technik: Mit Hilfe digitaler Datenkompression können auf einem einzigen Kabelkanal bis zu zehn verschiedene Programme übertragen werden. Bisher hatte nur ein einziges Platz. Um diese Programmflut auch empfangen zu können, benötigen die Zuschauer allerdings ein Zusatzgerät, das den digitalen Datenstrom entschlüsselt und wieder in ein Fernsehbild verwandelt – die sogenannte Set-Top-Box.

Die sechs deutschen Pilotprojekte aber wollen mehr. „Interaktiv“ heißt das Stichwort, unter dem in Hamburg, Berlin, Köln/Bonn, Leipzig, München/Nürnberg und Stuttgart neue TV-Programme entwickelt und mit jeweils unterschiedlicher Technik getestet werden sollen. Rückkanal für die Hamburger Testhaushalte wird das Telefonnetz sein. Ziel des Experiments ist auch herauszufinden, ob die Zuschauer überhaupt neue Programme sehen wollen; wenn ja, welche und – ob sie bereit sind, dafür Geld zu bezahlen. Ist die digital-interaktive Fernsehzukunft erst Wirklichkeit, wird der Zuschauer kräftig zur Kasse gebeten. Neben neuen Pay-TV-Programmen und Text-Informationsdiensten – beides kann abonniert werden – soll es zahlreiche weitere Bezahl-Angebote geben.

Für das Hamburger Projekt ist noch nicht geklärt, ob und wie tief die gewünschten 1 000 Testteilnehmer in die Tasche greifen sollen. Diese Frage wird von den DiTV-Betreibern aber als entscheidender Faktor für die „Motivation und Bereitschaft zur Teilnahme“ angesehen. Gleiches gilt für die Set-Top-Box: Soll sie „dem privaten Teilnehmer kostenlos zur Verfügung gestellt oder sollte ein fiktiver Marktpreis von zum Beispiel 1000 Mark verlangt werden?“ – solche Fragen aus dem DiTV-Bericht zum Abschluß der ersten Projektierungsphase sind noch nicht beantwortet.

Solange die technischen Fragen nicht entschieden sind, halten sich die Programmanbieter mit ihren Planungen, aber auch mit Investitionen zurück. Der Pay-TV-Sender Premiere will sich, so ist dem DiTV-Bericht zu entnehmen, zunächst auf „Near Video on Demand“ konzentrieren. Das heißt: Auf mehreren Kanälen läuft zeitversetzt, etwa im Viertelstundentakt, der selbe Film oder das selbe Programm. Der Zuschauer kann so die Anfangszeit selbst bestimmen und bezahlt nur für die abgerufenen Filme.

Wer sich als Hamburger TV-Tester in Zukunft den „Otto-Katalog“ im Fernsehen ansehen möchte, wird auch dies tun können. Sobald der Telekunde das Objekt seiner Begierde erblickt hat, kann er seinen Kaufwunsch per Fernbedienung zurücksenden – eine ganz andere Möglichkeit, Geld übers Fernsehen auszugeben.

Auch Hamburger Behörden denken über ein umfangreiches Serviceangebot nach: Stellenangebote aus dem Arbeitsamt, Fahrpläne des HVV, Informationen aus der Umweltbehörde oder ein Wegweiser durch die Bezirksämter. Wer zu Hause nachschlagen will, welches Buch in welcher Bibliothek steht, soll auch nicht leer ausgehen. Schließlich steht noch das touristische Angebot der Hansestadt auf dem Programm. Natürlich direkt vom Wohnzimmer aus zu buchen. Schließlich wollen auch die Verlage Axel Springer, Bauer und Gruner & Jahr ihre Zeitungs- und Zeitschriftenprojekte bildschirmgerecht aufbereiten und ins Fernsehen bringen.

„Was es kosten wird, all diese Angebote zu entwickeln und sie so aufzubereiten, daß sie ins interaktive Netz geschickt werden können, steht noch nicht fest“, läßt Kai Uwe Seelig von DiTV wissen. Teuer komme auch der Bau der Set-Top-Box. Einmalig tausend Stück herzustellen, koste Millionen. Wer das bezahlen soll, sei noch unklar – die Telekom, Philips, die Programmanbieter?

Auch wenn die Pilotprojekte positive Ergebnisse brachten, gibt „es bisher keine Konzeption für den Übergang in einen breiten Regelbetrieb“ – auf dieses Problem verweist die DiTV in ihrem Projektbericht mehrfach. Die flächendeckende Einführung interaktiven Fernsehens mit allen Möglichkeiten erfordere die Aufrüstung des Kabelnetzes. Das „würde viele Milliarden Mark kosten und sicherlich mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen.“

Deshalb ist der DiTV an Zwischenlösungen gelegen, die in absehbarer Zeit mit dem bestehenden Netz zu verwirklichen sind. Zusätzlich zum bisher geplanten Testumfang sollen verschiedene Modelle „intelligenter“ Set-Top-Boxen erprobt werden, die nicht nur entschlüsseln und abrechnen, sondern auch Texte und Grafiken speichern können. Wie beim Computer könnte der Nutzer dank dieser neuartigen Boxen in Zeitschriftenseiten blättern oder Zusatzinformationen abrufen.

Die Hamburger Wirtschaftsbehörde hat der DiTV 250.000 Mark zugesagt. Das reicht bis Ende Oktober und deckt die Betriebskosten der Firma. Bis dahin soll die Planung abgeschlossen werden. Doch viele Fragen sind noch offen. Olaf Kowalzik, Projektleiter für interaktive Medien beim Axel Springer Verlag: „In 10 bis 20 Jahren wissen wir mehr.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen