Digital Bauhaus Summit: Die Luftwurzeln von Weimar

Unter dem Titel „Being modern“ lud der diesjährige Digital Bauhaus Summit ein, um über Modernität, die digitale Zukunft und LSD zu sprechen.

Digital Bauhaus Summit 2017: Welche Zukunft erwartet uns? Bild: Torben Becker

von TORBEN BECKER

Zur Ankunft am Weimarer Hauptbahnhof wird man von der Gemächlichkeit der Kleinstadt empfangen. Die Menschen schlendern über einen mit sattgrünen Büschen bestückten Platz an der Schopenhauerstraße. Hier geht es provinziell ruhig zu. Doch an diesem Freitag ist irgendetwas anders.

Vereinzelte Grüppchen auffällig modebewusster Neuankömmlinge tummeln sich vor dem Bahnhofsgebäude. Sie warten auf den Shuttlebus, der sie zum Digital Bauhaus Summit (DBS) 2017 bringen soll. Von den prachtvollen Gebäuden Weimars aus dem 19. Jahrhundert hebt sich ihr moderner Style ab. Hippe Kleidung, bunte Sneakers, Retrobrillen und der ein oder andere Jutebeutel gehören zu den Erkennungsmerkmalen.

Was die Zukunft bringt, darüber sei man ratlos und diese ganze Ratlosigkeit mache wieder ratlos.

Auf dem DBS werden am 16./17. Juni unter dem Titel „Being modern“ die ganz großen Themen diskutiert: Moderne, Zukunft und Individualismus. Eingeladen haben dazu unter anderen Vertreter*innen der Zentrale Intelligenz Agentur (ZIA), namentlich Holm Friebe und Claudia Brückner. Auch taz.meinland wurde eingeladen. Besonders mit Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft möchten wir von unseren schillernden Erfahrungen aus ganz Deutschland berichten. Welch besseren Ort als Weimar könnte es dafür geben. Schiller und so.

Zuhause bei Ernst Neufert

Im ländlicheren Ortsteil Weimar-Gelmeroda ragt die blaue Neufert-Box aus dem Grünen empor. Sie gehört zum Komplex des ehemaligen Wohngeländes Ernst Neuferts, ein bekannter Bauhaus-Architekt des 20. Jahrhunderts. Der diesjährige Veranstaltungsort des DBS. Die Einfahrt führt in einen ländlichen Garten. Neben der Box und Neuferts ehemaligem recht analogem Wohnhaus finden in weißen Zelten verschiedene Diskussionsrunden und Vorträge statt. Größtenteils auf Englisch: „How to be modern today?“

Auf dem DBS ist man freigiebig. Nach der Anmeldung gibt es Goodies, Jutebeutel, Mittagessen und Trinken. Erkennbar sind die Teilnehmer*innen an neonorangenen Namensketten. Sie erleichtern die Kontaktaufnahme. Was es heißt modern zu sein, soll möglichst interaktiv rausgefunden werden. Zeitgleich finden an drei Orten jeweils Veranstaltungen statt und das dreimal über den Tag verteilt. Täglich mindestens neun Veranstaltungen für ca. 150 Teilnehmer*innen.

Die Veranstaltungen folgen den Fragen „Where are we now?“, eine Bestandsaufname der Moderne unserer Zeit, und „What will be contemporary?“, Ausblicke auf eine (post-)moderne digitalisierte Zukunft. Der DBS überzeugt mit seiner ausgelassenen Stimmung. Fernnab von jeder Steifheit ist die Stimmung heiter und grün.

Future is not an Option

Unter diesem Titel lud taz.meinland im grünen Garten hinter dem Neufert-Haus um 14:30Uhr zum Gespräch über Vorstellungen unserer Zukunft ein. Im Kreis einer kleinen Gruppe wurde zuerst im Freien, dann bei leichtem Geprassel des Regens unter einem der Zelte im Garten disputiert.

Moderator Jan Feddersen (taz) wollte einleitend von den Teilnehmer*innen wissen, wie eine Zukunft für meinland aussehen könnte: Was ist der Beitrag den jede*r leisten kann?

„Deutschland ist ein Flickenteppich doch diese Flicken kriegt man nicht zusammen.“

„Deutschland ist ein Flickenteppich“ erklärte Holm Friebe, es ginge nur darum, wie wir diese Flicken verbunden bekommen. Sebastian Martin, Bürgermeister von Crottendorf und mit meinland seit Januar verbunden, widersprach, denn „diese Flicken kriegt man nicht zusammen.“ Vielmehr müsse man schauen, dass man ein gewisses Angebot an Flickzeug bereitstellt. Wie und was die Leute flicken, müsse Ihnen überlassen bleiben.

Ob die eine Gemeinde hellere Laternen braucht oder die andere eine besser Infrastruktur, lässt sich von außen nicht festlegen. Hingegen müsse man lernen, die konkreten Probleme der Menschen anzuhören. Den ganzen Teppich können wir nämlich nicht überschauen.

Ein einheitliches Konzept von meinland verbietet sich also, das gebietet schon die Vielfalt. Zeitgleich erschwert sie, die Zukunft greifbarer zu machen: Was die Zukunft bringt, darüber sei man ratlos und diese ganze Ratlosigkeit mache wieder ratlos, meinte Holm Friebe.

Next Stop: Hagen?

Ratlos ist man auch in und um Hagen. Eva Rapp-Frick, Historikerin und Vorsitzende des Karl-Ernst-Osthaus-Bundes, berichtete, dass Hagen als abgedroschene Stadt gilt. Die Hagener*innen säßen zwischen den Stühlen der Großstädte. Diese zögen alle Aufmerksamkeit auf sich. Hagen komme schlichtweg zu kurz.

Eine Stadt, die ihre Zukunft bereits hinter sich hat? Eine Meinung, die viele in oder aus Hagen teilen. Rapp-Fricks Gegenentwurf für die Stadt Hagen ist die Übersetzung des Hagener Impulses ins digitale Zeitalter. Also eine neue Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens.

Doch seien es nicht Städte oder Dörfer, die Probleme haben, sondern ihre Bewohner*innen, gab Peter Martin zu bedenken. Man müsse sich mit Menschen, ob sie nun auf dem Land oder in der Stadt wohnen, und ihren konkreten Belangen solidarisieren. Beispielsweise betrifft eine ungleiche Einkommensverteilung alle.

Könnte eine stärkere digitale Vernetzung den gewünschten Effekt erzielen? Am Vormittag diskutierte Stephan Porombka auf dem Panel "Menschen des 21. Jahrhunderts" das Smartphone als das Sinnbild der Moderne. Es vereint zahlreiche Kommunikationskanäle und erleichtert den digitalen Austausch – immer online, erreichbar und vernetzt.

Holm Friebe lieferte für einen vielseitigen Kontakt unter den Menschen das Bild der Luftwurzeln. Eine poshe Ausgeburt des Treffens für Geisteswissenschaftler*innen? Nicht ganz. Sie gelten als lose Verbindung zwischen den Menschen. Sozusagen das Zwischenmenschliche. Sie könnten digital aufgewertet werden und so die Kommunikation erleichtern. So würden Dörfer auch wieder attraktiver: „Mit besserem 100 Mbit-Internet könnte ich auch auf dem Land arbeiten“, kam als unterstützende Wortmeldung eines Teilnehmers.

Schön und gut, aber Peter Martin stellte das nicht zufrieden. Er forderte mehr sozialen Kontakt, den der digitale nicht liefern kann. Austausch ist eben mehr als ein Wischen mit dem Finger auf dem Smartphone. Eine Lektion, die wir bei taz.meinland hautnah erleben. Die digitalen Medien können uns dabei unterstützen. Gegenseitiges Anerkennen und Schätzen ersetzen sie jedoch nicht. Eine rein digitale Zukunft ist keine Option. Wir müssen diese gemeinsam gestalten, idealerweise im Dialog.

Mit LSD zum besseren Menschen

Viele Denkanstöße wurden bereits am ersten Tag des DBS diskutiert. Allein: Eine eindeutige Wegweisung wird es nicht geben. Dafür ist dieses Forum auch nicht gedacht. Vielmehr sollten die Einzelheiten unseres Alltags und die positiven wie auch negativen Auswirkungen der Digitalisierung einbezogen werden: Wie können wir den Digitalisierungsprozess optimieren?

„Der DBS selbst ist definitiv eine Absage an alle Nostalgien.”

Am Beispiel psychedelischer Substanzen diskutierte Benedikt Sarreiter, Autor bei Nansen & Piccard, die andere Seite der Digitalisierung: Die Optimierung von uns selbst. Seit Jahren gibt es den Trend des Micro-Dosings. Man begnügt sich mit minimalsten Dosen psychedelischer Substanzen. Es gibt keinen Trip. Nur unmerklich ist die Wirkung. Eine Art psychedelischer Homöopathie? Nicht ganz: Die Menschen, die diesem Trend folgen, berichten von erhöhter Konzentration, Produktivität und einem intensiveren Lebensgefühl.

Ein bitterer Beigeschmack bleibt jedoch. Einerseits wurde diagnostiziert, dass es unserer Gesellschaft an Ritualen fehlt, diese Substanzen besser zu verstehen. Andererseits werden sie entritualisiert, indem sie Person optimieren sollen. Ganz im kapitalistischen Sinne: Zu jeder Zeit die besten und effizienteste Version seiner selbst zu sein. Selbstoptimierung als Zukunftsvision?

Fragen und Themen über die wir streiten müssen. Im Schlusswort forderte Benedikt Sarreiter, große Schritte nach vorne zu wagen. Der DBS selbst ist also definitiv eine Absage an alle Nostalgien. Wer an die Luftwurzeln glaubt, blickt in die Zukunft. Insofern ist Zukunft die einzige Option, die wir haben – im solidarischen Dialog.