piwik no script img

Diese Soldaten waren Mörder

■ Die Ausstellung Vernichtungskrieg dokumentiert die Verbrechen der Wehrmacht

„Totschlägerreihe“, dieses Wort schreibt Franz Kafka am 27. Januar 1922 in sein Tagebuch, und im Kontext wird deutlich, für wie schwierig er das „Hinausspringen“ aus ihr hält. Da haben es sich die deutschen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg am „Unternehmen Barbarossa“, am Eroberungsfeldzug gegen die Sowjetunion, teilgenommen haben, sehr viel einfacher gemacht.

Bis heute gehört es zu den gern kolportierten Lügen, daß die Schweinereien des Krieges – die Massaker und Abschlachtungen, Abstechereien und Vergewaltigungen, Massenerschießungen und Folterungen –, daß all das, was deutsche Soldaten der sowjetischen Bevölkerung angetan haben, zwar von der SS begangen wurde, nicht aber von der regulären Truppe, der deutschen Wehrmacht. Zwar hätten fanatisierte Nazis tatsächlich Kriegsverbrechen begangen, der normale deutsche Landser aber, so geht die immer noch wirkungsmächtige Legende, habe nichts getan, als seine Pflicht zu erfüllen; und dabei sei er sauber geblieben, zur Totschlägerreihe habe er nicht gehört.

Doch dem war nicht so, er gehörte dazu. Der Zweite Weltkrieg wurde im Osten von den gesamten deutschen Streitkräften als Vernichtungskrieg auch gegen die Zivilbevölkerung geführt: Die Sowjetunion sollte nicht einfach geschlagen, sondern ausradiert werden. Dies wird eine unter der Federführung des Hamburger Instituts für Sozialforschung entstandene Veranstaltung auf dem Kampnagel-Gelände allen, die es wissen wollen, von Sonntag an einsichtig machen. Die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944 tritt mit dem Anspruch an zu beweisen, „daß nicht einzelne Befehlshaber, sondern die Gesamtorganisation Wehrmacht“ die Kriegsverbrechen an Zivilisten und Kriegsgefangenen zu verantworten hatte.

Die Ausstellungsmacher Bernd Boll (Freiburg), Hannes Heer (Hamburg), Walter Manoschek (Wien) und Hans Safrian (Wien) haben die Täterschaft der Wehrmacht anhand zweier Schauplätze – Serbien und Weißrußland – sowie einer kollektiven Biografie der deutschen 6. Armee dokumentiert. Auch wenn hinterher niemand von etwas gewußt haben will – das überlieferte Material, Feldpostbriefe, Amateurfotografien, Kriegstagebücher, wird schwerlich noch einmal zu verdrängen sein.

Dirk Knipphals

K 3, 5. 3. - 15. 4. 1995; Di - Fr 16 - 21 Uhr, Sa+So 11 - 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen