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Die zweite Geige spielt im Kreml die Musik

■ Der Erste stellvertretende Ministerpräsident Juri Masljukow zieht im Wirtschafts- und Finanzministerium die Fäden: Sowjetischer Apparatschik mit besten Kontakten zur Rüstungsindustrie

Die jüngste Ausgabe des russischen „Who's who“ führt ihn schon nicht mehr. Juri Masljukow galt als Auslaufmodell. Die Staatskrise indes spülte den altgedienten Apparatschik nun doch noch auf den politischen Olymp. Nach Premierminister Jewgeni Primakow bekleidet der 61jährige Ingenieur und Absolvent einer Artillerieschule den zweithöchsten Rang in Rußlands Notstandsregierung. Masljukow ist als Erster stellvertretender Ministerpräsident für das Wirtschafts- und Finanzministerium zuständig.

Die Rolle des Zweiten scheint Masljukow auf den Leib geschrieben. Er brachte es immer nur zum „sam“, dem Stellvertreter. Angefangen hat er als Codirektor eines Forschungsinstituts der Rüstungsindustrie in Ischewsk. Bis zum Ende der 70er Jahre war er bis zum stellvertretenden sowjetischen Rüstungsminister aufgestiegen, von 1985 bis 1991 leitete er den Ministerrat der UdSSR aus zweiter Reihe.

Nur einmal schaffte der fade wirkende Lobbyist der Rüstungswirtschaft den Sprung an die Spitze: als Chef der Kommandozentrale der sozialistischen Planwirtschaft „Gosplan“. Mit dem offiziellen Ende des sozialistischen Wirtschaftens 1991 in Rußland verschwand Masljukow zunächst von der Bildfläche. Gerüchte besagen, der aalglatte Funktionär nutzte seine alten Kontakte in der Rüstungsindustrie und wirkte als Konsultant verschiedener Industrie- und Finanzkonglomerate. Seine guten Verbindungen waren es schließlich, die den russischen Kommunistenchef überzeugten. 1995 bot Gennadi Sjuganow dem Planwirtschaftler einen aussichtsreichen Listenplatz für die Dumawahlen an, wo er seither den Wirtschaftsausschuß leitete.

Die wirtschaftspolitischen Marginalien, mit denen sich das Programm der Kommunistischen Partei (KPRF) begnügt, stammen selbstverständlich aus Masljukows Feder. Staat, Plan und Renationalisierung von Schlüsselindustrien sind dessen Wundermittel.

Angeblich versteht es keiner so gut wie Masljukow, für die Partei bei Rußlands korrupten Finanzeliten Gelder lockerzumachen. Prinzipienfestigkeit zählt unterdessen nicht unbedingt zu seinen Tugenden. Menschen sind für den Spitzenbürokraten nicht vielmehr als Material. Insofern repräsentiert Masljukow geradezu idealtypisch den kommunistischen Parteifunktionär: Hauptsache oben bleiben. Daher fühlte er sich in der Duma auch deplaziert, ihn zog es eigentlich in die Machtzentrale des Kreml. Diesem Leitmotiv huldigte er so unverfroren, daß die KPRF schon ein Ausschlußverfahren eingeleitet hatte.

Im Sommer holte der junge Premier Sergej Kirijenko Masljukow dann als Industrieminister ins Kabinett. Er folgte dem Ruf bereitwillig, auch gegen den Willen der Partei. Die Ereignisse überstürzten sich. Die Interimsregierung Wiktor Tschernomyrdins vereitelte seinen Versuch, den lukrativen Waffenhandel unter die Ägide des Industrieministeriums zu überführen. Ohnehin galt der angestaubte Minister schon in der reformorientierten jungen Regierung nur als eine Kraft zweiter Klasse. Er reichte Anfang September den Rücktritt ein, um das Gesicht zu wahren.

Dem heutigen Vizepremier Masljukow indes sind die Hände nicht mehr gebunden. Wer wollte ihn jetzt hindern, das einträgliche Rüstungsgeschäft unter seine Kontrolle zu bringen? Gennadi Sjuganow kann den Finanztransfer gar nicht mehr erwarten. Schließlich sind die Einnahmen des Rüstungssektors garantiert, unabhängig vom politischen Regime und Investitionsklima. Da sie der Geheimhaltung unterliegen, erfährt auch der Internationale Währungsfonds nichts Konkretes. Parlaments- und Präsidentschaftswahlen lassen sich mit solchen Mitteln trefflich angehen.

Die einzige Unbekannte in der Gleichung bleibt Juri Dmitrijewitsch Masljukow. Er könnte für das Geld eine andere Verwendung finden...

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