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Die zerplatzte Aktienträume

Am Neuen Markt fallen die Kurse. Firmen in Boomsektoren machen Millionenverluste. Seit dem Frühjahr sank Aktienindex von 8.000 auf fast 4.000 Punkte

HAMBURG taz/rtr ■ Der Neue Markt taumelt. Gestern verlor sein Gesamtindex über fünf Prozent an Wert, ein Verlust von mehr als 17 Milliarden Mark. Beobachter erwarten weitere Kursstürze. Schon am Freitag waren die Kurse von musicmusicmusic und Gigabell über 25 Prozent abgesunken. Bereits im Frühjahr hatte es heftig gekriselt. Seither sackte der Neue-Markt-Index von über 8.000 auf gestern Nachmittag 4.289 Punkte ab.

Bis dahin hatte der Neue Markt jedoch geboomt. Mit der Schaffung dieses neuen Börsensegments im März 1997 schienen sich zunächst alle Anlegerträume zu erfüllen. Aus den anfänglich zwei Aktien, die notiert wurden, sind inzwischen 318 geworden. Die Emissionen im Gründungsjahr erreichten in den ersten zwölf Monaten ihres Börsendaseins ein durchschnittliches Plus von über 350 Prozent, Spitzenreiter ist bis heute das Medienunternehmen EM.TV mit einem Plus von mehr als 3.000 Prozent in einem Jahr.

Im selben Zeitraum stieg der traditionellere Dax „nur“ um 19 Prozent. Aber schon damals warnte beispielsweise die Deutsche Bank (vergeblich), dass der Neue Markt „nur Renditechancen für Schwindelfreie bietet“. Die Spekulationsblase wuchs, das Traumwort hieß Internet. Mittlerweile ist die elektronische Datenautobahn ein rotes Tuch für Analysten. Fast alle Firmen blieben den Nachweis schuldig, mit Internetanwendungen wirklich Geld verdienen zu können. Statt Klasse zog der Neue Markt Masse an: Allein im vergangenen Jahr feierten 132 Neulinge ihr Börsendebüt. Dazu beigetragen haben die im Gegensatz zum klassischen „Amtlichen Handel“ gewollt laschen Zugangsbedingungen.

Der Neue-Markt-Index Nemax hat sich seit 1997 fast verzehnfacht. Aber solche Durchschnittswerte trügen. Etwa die Hälfte aller Firmen schneidet negativ ab. Ihre aktueller Kurs ist heute schlechter als ihr Emissionskurs beim Start am Neuen Markt. So verlor die Telekom-Tochter T-Online seit ihrem Börsengang im Mai fast die Hälfte ihres Wertes und sank gestern auf einen neuen Tiefstand. Inzwischen sollen sich die ersten internationalen Investmentfonds vom Neuen Markt verabschieden. Ziehen sich nun auch noch deutsche Fonds und institutionelle Anleger zurück, dürfte die Neue-Markt-Blase mit einem lauten Knall platzen. „Börsen sind eben keine Gelddruckmaschinen“, warnt ein Beobachter.

HERMANNUS PFEIFFER

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