: Die weißen Flecken auf der nebenstehenden Weltkarte zeigen die letzten "Derrick"-freien Flecken dieser Erde. Überall sonst verbreitet Horst Tappert durch die meistverkaufte Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens das Bild des guten Deutsch
Die weißen Flecken auf der nebenstehenden Weltkarte zeigen die letzten „Derrick“-freien Flecken dieser Erde. Überall sonst verbreitet Horst Tappert durch die meistverkaufte Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens das Bild des guten Deutschen und hat damit, wie auch der Kanzler meint, große Verdienste um das Image der Republik erworben. Heute abend geht „Derrick“, bereits im hohen Rentenalter, zum 250. Mal gegen das Verbrechen ins Rennen.
Ein Krimiheld geht um die Welt
Wer mußte nicht schon alles ins Tele-Gras beißen, damit ZDF- Oberinspektor Stefan Derrick seinen Dienst verrichten konnte: Da gab es den „Tod der Kolibris“, den „Tod des Trompeters“, „Tod des Wucherers“ und sogar den „Tod eines Italieners“. 250 Mordfälle landeten in den letzten 21 Jahren auf Derricks Schreibtisch, nur zwei Akten konnten bislang nicht geschlossen werden.
Aber Derrick hat nicht nur eine stattliche Aufklärungsquote (99,2 Prozent), sondern ist vor allem der absolute ZDF-Exportschlager. Immerhin 40.000 Mark pro Folge (Produktionskosten 1,2 Millionen) treibt die Vermarktungsgellschaft ZDF Enterprises über den Auslandsverkauf wieder ein: In 94 Ländern, von Norwegen bis nach Italien, von der zerfallenen Sowjetunion über den Senegal bis nach Indien, flimmert das Konterfei des 73jährigen Ordnungshüters über die Mattscheibe.
Vielleicht hat der international verständliche Name des Oberinspektors den Durchbruch im Ausland befördert. Denn „Derrick“ bedeutet im Englischen wie im Französischen Bohrturm: Die Analogie zum Fels in der Brandung (des Bösen), zum Turm in der Schlacht (gegen das Verbrechen) ist augenfällig. In den neueren Folgen jedenfalls hat Derrick seinem Namen alle Ehre gemacht. Immer seltener gelingt es dem stark in die Jahre gekommenen Bildschirmermittler, sich der Statik eines Bohrturms zu entziehen.
Wenn der tapperige Derrick nicht gerade in seinem BMW sitzt oder mit erhobenem Zeigefinger Verdächtige verhört, hockt er in seinem biederen Büro vor dem notorisch klingelnden Telefon und zieht ab und an seine Denkerstirn in Falten. Noch einige in andächtiger Penetranz aufgesagte Dialogstereotypen mit Assistent Harry Klein, einige ermüdend spannungsarme Verhöre, und schon ist der Fall in der Manier eines Kammerspiels gelöst. – Obwohl Derrick im Laufe seiner langen TV-Tätigkeit vornehmlich damit beschäftigt war, die moralischen Entgleisungen der großbürgerlichen Lebensnormen zu sühnen, ließ er sich doch zu zwei erotischen Eskapaden hinreißen: In „Pfandhaus“ (1975) und in „Angriff aus dem Dunkeln“ (1984) hauchte der Junggeselle seinen beiden kurzzeitigen Fernsehfreundinnen – gespielt von Johanna von Koczian und Margot Medicus – einige Küßchen auf die Lippen. Mehr war nicht, und mehr wird nie sein, weil Derrick nicht in „sexuelle Abhängigkeit“ geraten soll und man „einen Menschen, der gesund ist“, so Darsteller Horst Tappert, „nicht dauernd mit Frauen zeigen muß“.
Folgerichtig ließ es Herbert Reinecker, geistiger Vater der Serie, mit dem Dienstverhältnis zwischen Stefan und Harry bewenden. Assistent Klein, gespielt von Fritz Wepper, hatte schon unter Reineckers „Kommissar“ Keller (1969 bis 1976) als Gattinnenersatz gedient. Offenbar gehört die Entwicklung von Frauencharakteren nicht zu den Stärken des achtzigjährigen Drehbuchautors: Die Fernsehfrau des Kriminalisten Keller hatte nach Komplimenten wie „Du bist dumm, aber lieb“ bereits im Herbst 1970 genug von Reineckers Dialogen und verschwand auf Wunsch der Darstellerin Rosemarie Fendel von der Bildfläche.
Auch Harry Klein trennte sich wenig später von seinem „Kommissar“ und trat am 20. Oktober 1974 in „Waldweg“ seinen Dienst bei dem Bohrturm an. „Tappert und ich“, so Fritz Wepper, „führen fast eine Ehe.“ Aber während es der ewige Assistent in den folgenden Jahren zu nicht mehr als zum „Mann an seiner Seite“ brachte, avancierte der distinguierte Stefan Derrick zu einem reputierlichen Krimihelden, der sogar internationale RezipientInnenkreise erfolgreich zur Identifikation einlud. Da freut sich Bundeskanzler Helmut Kohl natürlich, daß Derrick mit dazu beigetragen habe, „ein sympathisches Bild der Deutschen im Ausland mitzuprägen“. Und Ex- Bundespräsident Richard von Weizsäcker, selbst lange im diplomatischen Dienst tätig, findet gar, Stefan Derrick habe das Bild des Deutschen im Ausland „am besten repräsentiert“.
Bei so viel Lob und Einschaltquoten von satten 17 Prozent macht es den Mainzelmännern auch gar nichts, daß ihre Erfolgsserie bei angehenden Drehbuchautoren und Regisseuren längst als bestes Anschauungsbeispiel dafür dient, wie es nicht gemacht werden sollte.
Soeben wurde beschlossen, Derricks ursprünglich für Dezember 1995 geplante Pensionierung bis auf weiteres zur verschieben. Allerdings hat nicht nur Horst Tappert die Pensionsgrenze längst überschritten. Auch Produzent Helmut Ringelmann und Drehbuchautor Herbert Reinecker arbeiten seit langem an der kritischen Herzschrittmachergrenze. Und auch die wechselnden Regisseure rekrutieren sich vornehmlich aus der ZDF-Altherrenriege: Für den heutigen Abend durfte wieder einmal der 79jährige Alfred Weidenmann die Reineckersche Drehbuchvorgabe in wenig bewegte Bilder umsetzen. Titel der Jubiläumsfolge: „Eines Mannes Herz“. Frank Liebert
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