: Die vielen zwei
Chicago Underground: Rob Mazurek und Chad Taylor spielen am Sonntag im Rahmen des X-Tract-Festivals im Podewil
Seit über zehn Jahren bringt ausgerechnet die Stadt Chicago die innovativste Musik der USA hervor. Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht ist es die Isolation und die aus ihr entstandene Langeweile, die so viel Kreativität möglich macht. Vielleicht ist es auch der Wind, der die Köpfe der ansässigen Musiker so richtig durchbläst und ihnen den Raum für die zündenden Ideen freihält.
Genaue Antworten darauf bleiben selbst die Beteiligten meist schuldig – auch Casey Rice, der unter anderem Tontechniker von Bands wie Tortoise, Isotope 217 und dem Chicago Underground Duo ist und auch ein gefragter Drum’n’Bass-DJ. Er steht geradezu exemplarisch für die genreübergreifende Szene in Chicago, deren musikalische Protagonisten immer mehrere Projekte gleichzeitig verfolgen. So bilden Trompeter Rob Mazurek und Schlagzeuger Chad Taylor auch nur „unter anderem“ das Chicago Underground Duo. Dieses war einst ein Orchester, galt mal als Trio, dann wieder als Duo, und nahm zuletzt als Quartett ein sehr elektrolastiges Album auf.
Was Mazurek und Taylor live als Duo präsentieren, lässt sich wiederum nur schwer umschreiben: Zu unberechenbar ist das mit elektronischen Soundcollagen unterlegte Spiel Mazureks. Kaum baut er eine Idee auf, lässt er sie elegant durch den Raum schweben, schon zerstückelt er sie wieder und fügt die Einzelteile zu etwas Neuem zusammen. Die Entspanntheit von Jazz und die Aggressivität von Postrock wechseln einander in rasantem Tempo ab. Es ist die experimentelle Suche nach dem Neuen, die Mazurek und Taylor auszeichnet, auch in ihren anderen Projekten: Chad Taylor ist Schlagzeuger der Jazzlegende, des Mitbegründers der Improvisationsjazzvereinigung AACM Fred Anderson, und Rob Mazurek ist Mitglied der Postrockband Isotope 217 (die wiederum ein Seitenprojekt von Tortoise ist).
Eigentlich wollten beide heute Abend im Podewil mit dem Chicago-Superstar Jim O’Rourke auftreten (file under: Gastr del Sol und Sonic Youth), doch die Terroranschläge, die O’Rourke ganz aus der Nähe miterleben musste, ließen diesen gemeinsamen Auftritt platzen.
Sehr schade. Nicht zuletzt weil der ebenfalls auftretende schwedische Saxofonist Mats Gustaffson, der auch als Retter der Improvisationsmusik seines Heimatlandes gilt und dazu neigt, sein Saxofonmundstück auf eine Flöte zu stecken und das aus dieser Symbiose entstehende, eigentümlich klingende Instrument „Fluteophone“ zu nennen, einer der unzähligen Zeugen der O’Rourkeschen Produktivität ist. Im vergangenen Jahr nahm er mit ihm eine von Kritikern vergötterte Platte auf („Xylophonen Virtuosen“) – dass diese Zusammenarbeit auch für Gustaffson nur eine von vielen war, versteht sich von allein. TOBIAS RECKLING
Thrill Jockey meets Moikai: Mats Gustafsson und Jaab Blonk (NL) treffen das Chicago Underground Duo. Live-Streaming: Casey Rice, am So, 23.9. ab 21 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen