: Die ungebetenen Gäste
■ Warum die Roma in »Schlichtunterkünften« auf dem nackten Erdboden schlafen müssen/ Sie wollen kein Asyl, sondern den Westen nur besuchen
Charlottenburg. Der Westen ist wirklich so schön wie im Film, sagt Maria, und einen Vergleich zwischen Bukarest und Berlin will sie gar nicht erst anstellen. Bukarest hätte keine Chance. Das einzige Problem sei das Geld. »Hunger hat man immer.« Der Westen, das ist nach Einbruch der Dunkelheit ein Grasflecken am Parkplatz in der Jafféstraße, wo Maria und ihre Verwandten nachts zum Schlafen in ein paar selbstgebauten Zelten unterkriechen. Ihre Nachbarn, die Roma aus Polen, sind mit ihren kleinen Wohnwagen schon etwas besser versorgt — ganz zu schweigen von den Sinti und Roma aus Westdeutschland, deren Wohnwagengespanne hundert Meter weiter geparkt sind.
Ein halbes Dutzend Quartiere hatten sich die zwanzig Roma selbst aus Plastikplanen, Decken und Überresten von Campingzelten gebaut. Vier sind noch übrig. Eines fiel vor ein paar Wochen einem Brandanschlag zum Opfer. Der Täter hatte das Zelt nachts mit Benzin übergossen und angezündet. Die Schlafenden konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Die Männer haben daraufhin Wachen aufgestellt. »Seitdem«, sagt Maria, »ist nichts mehr passiert.«
Geschlafen wird zwangsläufig auf dem Boden, obwohl es bei Nachttemperaturen um die fünf Grad selbst am Lagerfeuer kaum mehr auszuhalten ist. Der Charlottenburger Sozialstadtrat Udo Maier (SPD) findet solche Zustände eigentlich unzumutbar. Als Zwischenlösung hatte er den Roma drei feste Zelte zur Verfügung gestellt — allerdings nur bis zum 4. Oktober. Bis dahin sollten sich Maria und ihre Verwandten entscheiden, auf welchem Weg sie zu einer »festen Behausung« kommen wollten: Per Asylantrag würden sie einen Heimplatz zugewiesen bekommen. Er habe nie jemanden ins Asylverfahren drängen wollen, versichert Maier. »Wir haben sie nur gefragt.« Und sie haben immer wieder nein gesagt. Denn für einen Asylantrag müßten sie ihre Pässe abgeben — und wenn es für Maria überhaupt irgend etwas Gutes über das neue Regime in Rumänien zu sagen gibt, dann ist das die Tatsache, daß sie Reisepässe bekommen haben.
Wer weder Asylbewerber ist noch einen Wohnwagen oder gar ein Hotelzimmer hat, der ist nach der Logik der Behörden ein »obdachloser Tourist«. Obdachlosen Touristen, sagt Sozialstadtrat Maier, »muß man bei der Heimreise behilflich sein«. Das wiederum gestaltete sich schwierig. Trotz perfekter Dolmetscher gab es Verständigungsprobleme. Ob und wann die Roma zugesichert haben, mit einer Fahrkarte des Bezirksamtes in der Tasche die Heimreise anzutreten, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Jedenfalls waren die meisten Roma am 4. Oktober nicht abgereist — die Zelte wurden vom Bezirksamt trotzdem abgebaut.
Seitdem wohnen sie wieder in »Schlichtunterkünften«, wie die Armutshütten im Bezirksamt so ganz unverfänglich genannt werden. Die AL, aber auch die Charlottenburger SPD fordern, den Menschen unverzüglich eine feste Unterkunft in Form von Bauwagen oder Containern zur Verfügung zu stellen. Es ginge nicht an, sagt die SPD-Kreisvorsitzende Siegrun Klemmer, »daß die Leute hier auf dem nackten Schlammboden sitzen«. Maier windet sich, denn feste Unterkünfte »sind ja auch ein Anreiz für die zu bleiben«. Nächsten Dienstag will er einen Antrag auf mehrere Container vorlegen. Einen Wärmeeinbruch haben die Meteorologen bis dahin nicht vorausgesagt. Andrea Böhm
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