: Die türkische Kurdenpolitik nach dem Bürgerkrieg
Der Bürgerkrieg in den kurdischen Bergen, dessen heiße Phase mit einem Überfall der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) auf eine Jandarma-Station in Eruh im August 1984 begann, hat dreißigtausend Tote und ein leeres Land hinterlassen.
Die Landflucht aus den Dörfern im Südosten der Türkei in die Metropolen Istanbul, Izmir, Ankara und an die Mittelmeerküste ist durch den Krieg enorm beschleunigt worden. Systematisch geriet vor allem die Dorfbevölkerung zwischen die Fronten.
Auf der einen Seite verpflichtete das Militär in etlichen Dörfern die männliche Bevölkerung als Dorfschützer zu einer Art Hilfspolizei, auf der anderen Seite versuchte auch die PKK, durch zum Teil gewaltsame Aktionen die Dörfler dazu zu bringen, die Guerilla zu unterstützen. Beide Seiten zwangen so die Bevölkerung in einen Konflikt hinein, dem sich viele nur noch durch Flucht entziehen zu können glaubten.
Darüber hinaus wurden in den grenznahen Regionen zum Irak und Iran die Dörfer vom Militär systematisch zerstört, um den PKK-Mitgliedern jede Unterschlupf- und Versorgungsmöglichkeit zu nehmen.
Über zwanzigtausend Dörfer und Kleinstsiedlungen wurden vor allem Anfang der Neunzigerjahre zerstört, die Menschen wurden vertrieben. Allgemein geht man heute davon aus, dass von den rund fünfzehn Millionen Kurden in der Türkei mehr im Westen als im Südosten des Landes leben.
Ein großer Teil der vertriebenen Dörfler hat sich aber auch in die Städte der Region geflüchtet, hauptsächlich nach Diyarbakir, Urfa und Gaziantep, deren Bevölkerung sich in den letzten fünfzehn Jahren verdoppelt hat.
Wenn nun von der Rückkehr in die Dörfer die Rede ist, geht es hauptsächlich um diese Leute, die in den Slums von Diyarbakir darauf gewartet haben, dass der Krieg zu Ende geht und sie wieder zurückkönnen.
Seit Monaten wird in Ankara über ein Rückkehrprogramm geredet, bislang jedoch ohne Ergebnis. Ministerpräsident Ecevit favorisiert den Bau so genannter Zentraldörfer, weil angeblich nur so die Versorgung mit Strom und Wasser und der Anschluss an das Straßennetz gewährleistet werden kann.
Kritiker halten ihm jedoch vor, dass damit der eigentliche Sinn einer Rückkehr, die Bewirtschaftung der brachliegenden Felder und der Aufbau neuer Schaf- und Ziegenherden, nicht erreicht wird und es bei dem Konzept der Zentraldörfer vor allem darum geht, die Bevölkerung besser überwachen zu können.
Ein Modelldorf dieses Konzepts soll demnächst in der Nähe von Van eingeweiht werden. Erste Voraussetzung, damit die Leute wieder in ihre angestammten Dörfer zurückkehren können, wäre die Aufhebung des Ausnahmezustands und die damit einhergehende Freigabe der Gebiete durch das Militär.
Nach Angaben der prokurdischen Organisation Hadep haben bislang bereits 300.000 Leute beim zentralen Gouverneur für die Ausnahmezustandsgebiete einen Antrag auf Rückkehr gestellt. Abgesehen von einer Erlaubnis brauchen die meisten aber auch materielle Unterstützung, um ihr Haus wieder aufbauen und neue Zuchttiere anschaffen zu können. Dazu sind bislang aber keine Gelder bereitgestellt worden.
Die meisten Beobachter in der Region gehen aber davon aus, dass dies nicht an Geldmangel liegt, sondern daran, dass zumindest ein Teil der Regierung eine Rückkehr gar nicht zulassen will.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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