■ Die tödliche Teilung Bosnien-Herzegowinas: Bantustan in Europa
Der Preis des Terrorsieges für die Karadžić-Serben war hoch: Sie haben Hunderttausende von ehemaligen Mitbürgern vertrieben, verschleppt, ermordet. Sie haben einen Staat zerstört. Sie haben Europa gezeigt, daß Gewalt siegt. Gewonnen haben sie nichts, was wichtig wäre für die Zukunft: Verbrannte Häuser und zerstörte Fabriken schaffen keine Werte, eroberte Flächen kein Wachstum, orthodoxe Kreuze keinen Export. Der Preis des Vertreibungsfriedens für die Owen-Europäer ist hoch. Im Namen der EG und im Namen der UNO ist ein Kapitulationspapier erpreßt worden, das die Vertreibung, die es beenden sollte, nun noch einmal in Gang setzt.
Der Owen-Plan wird in den Städten und Dörfern, in den Straßen und Häusern als Freibrief für weitere Vertreibung genutzt. Hat nicht die europäische, hat nicht die Weltgemeinschaft unser Dorf, unsere Stadt, unsere Straße zu einer serbischen, kroatischen oder muslimischen erklärt? Bantustan in Europa. Jahrzehntelang war Südafrika geächtet, weil es rassische Trennung und territoriale Segregation in der absurdesten und gewalttätigsten Form erzwingen wollte. Jetzt setzen EG und UNO ihre Unterschrift unter ein neues Bantustan-System.
Nein, es gab nun keine Chance mehr. Die überlebenden Verlierer im Vernichtungskrieg werden jetzt unterschreiben müssen. Und dann? Dem Zusammenbruch der gemeinsamen politischen Verantwortung Europas folgt die Katastrophe bei der humanitären Verantwortung: Auf denselben Straßen, auf denen schon die Lebensmittel-Konvois nur schwer die Kriegsgebiete erreichten, irren jetzt die Flüchtlingstrecks der Vertriebenen umher. Wer nimmt sie auf? Welches Spiel planen die Hauptakteure in Paris, London, Bonn und Brüssel bei der „Verteilung“ der Menschen? Europa ist ganz und gar nicht vorbereitet auf die Folgen dieses Vertrages, für den es die Verantwortung übernimmt. Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik fand bisher nicht statt. In Deutschland sind Zehntausende von Bosniern privat bei Freunden und Verwandten untergebracht. Wo aber werden die bosnischen Vertriebenen von morgen unterkommen?
Der Genfer Frieden ist keiner. Er teilt nicht nur das Land. Er zerreißt die bosnische Gesellschaft noch einmal, auch da, wo die Menschen bis heute gemeinsam gelebt und gelitten haben. Hier liegt die giftige Wurzel der Genfer Verhandlungen. Gebeugt über Landkarten, wie Fürsten und Feldherren des neunzehnten Jahrhunderts, haben die Unterhändler Geographie betrieben statt Politik.
Es geht auch anders. Arafat und Rabin haben sich der tödlichen Genauigkeit der Landkarte verweigert. In Jerusalem und Jericho wird jetzt über Zeitpläne und Sachfragen gesprochen. Die Grenzfragen könnten sich in fünf Jahren als weniger wichtig erweisen. Frieden braucht weit eher Zeit als neue Grenzen. Kalender sind wichtiger als Landkarten. Freimut Duve
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen