: Die perfekte Artistin
Caterina Valente, Sängerin von hohen Gnaden, wird morgen siebzig Jahre alt
von JAN FEDDERSEN
Sie hat nie böse Worte, öffentlich jedenfalls sind keine bekannt. In ihren Memoiren „Bonjour, Katrin!“, beispielsweise, berichtet sie von ihrem ersten Gastspiel in den USA. Das war 1955. Erzählt, wie aufgeregt sie war, gerade vor diesem Auftritt. Dass die Hoffnungen auf dieses Land auch eine Last waren. Für ihre Mutter Maria, mächtiger und unumstrittener Mittelpunkt des Valenteclans, die ihre Tochter Caterina nur ungern selbstständig werden lassen mochte, war Amerika die Welt, die es zu erobern galt, wollte man als Künstler von einer erfolgreichen Karriere sprechen. Endlich Amerika! Und dann reist ihr Mann, Eric van Aro, zurück, ehe sie ihre Besuche in TV-Shows und Radiostationen, ihre Treffen mit Schallplattenbossen und Konzertagenten hinter sich gebracht hat. Kein gemeinsames Genießen des neuen Kontinents, keine gemeinsamen Momente, an die man sich später gerne erinnern würde. Eric van Aro stattdessen reist ab, als Manager seiner Frau kann er sich nicht lange aufhalten mit ihren persönlichen Aufregungen. Die Valente findet das schade; dass sie darüber traurig war, ist nur zwischen den Zeilen herauszulesen.
Diese Neigung, allen Kummer leichtzureden, wegzustecken und hinter sich zu lassen, hat sie sich bis heute, da sie siebzig Jahre alt wird, bewahrt. In einem Interview mit der Zeitschrift Musikmarkt sagt sie über die mangelnde Aufmerksamkeit, die man ihr zollt: „Es könnte sein, dass meine Fans mich gerne auf dem Bildschirm wiedersehen möchten.“ ARD und ZDF scheinen sie vergessen zu haben, obwohl sie dieser Künstlerin viel zu verdanken haben – Shows, quotensatt und legendär. Selbst Arte hat keinen Themenabend eingeplant, in zwei Wochen ist dort immerhin zu später Stunde eine einstündige Sendung über sie und ihre Karriere zu sehen.
Die Reihe, in der die Quasidokumentation untergebracht wurde, passt zur Valente allerdings genau: „Music Planet“. Caterina Valente, die den Franzosen als Deutsche erschien, den Amerikanern als Europäerin und den Deutschen meist nicht als eine der Ihren, war selbst immer eine Art Musikplanet: eine Weltmusikerin, ehe es dieses Wort überhaupt gab.
Für keinen ihrer Songs, die in Amerika, Frankreich oder Italien gerne gehört wurden, wurde sie in Deutschland geliebt. „Malaguena“, ihr erster großer US-Hit, wurde zwar in Deutschland produziert, musste aber erst in den USA in die Hitparaden einziehen, ehe auch deutsche Radiostationen nicht mehr daran glaubten, dass es für deutsche Ohren zu exotisch ist.
1954 begann ihre Solokarriere in Deutschland mit ihrer ersten Plattenaufnahme. Mit dem Orchester Kurt Edelhagen spielte sie den Song „Istanbul“ ein. Virtuos ihre Stimme schon damals. Sie konnte flüstern, schreien und raunen, als wäre der Ritt über mehrere Oktaven ein sportliches Aufwärmen in Noten. Später, als man sie in meist Grauen erregend schlechten Schlagerfilmen sah (Videoclips waren noch nicht erfunden), war zu erkennen, dass die Valente viel mehr konnte: tanzen, tanzen, tanzen. Sie schien alles zu können, was man braucht, um auf der Bühne bestehen zu können. Und alles wirkte wie improvisiert, leicht und unangestrengt – und stets ein wenig zu perfekt. Dabei verstand sie sich wirklich als Clown im klassischen Sinne: Immer lächeln, nie das wahre Gesicht zeigen, selbst wenn du tödlich getroffen bist. Als die Valente ihre Karriere begann, galt Authentizität auf der Bühne noch nicht als Tugend.
Am eindringlichsten zeigte sie diese Kunst, als singender Körper in jede Dreiminutenstory zu schlüpfen, 1964, als Stargast bei den Deutschen Schlagerfestspielen in Baden-Baden. Vier Titel sang sie, inszeniert vom neuen Musikregiehelden Michael Pfleghar. Zwei eher munter-lustige Lieder, dann zwei eher depressive Chansons. Eines davon war die deutsche Fassung des Bécaud-Titels „Et maintenant“: Das Lied einer verlassenen Frau, die ihren Geliebten erst tief gekränkt anfleht, sie nicht einsam zu machen. „Was wird aus mir.“ Am Ende, eingetaucht in ein furioses Orchesterfinale im Stile von Ravels „Bolero“, wird sie verzweifelt wütend. Als bei den letzten Tönen das Bühnenlicht weg dimmt, läuft die Valente nach hinten weg, wie in ein Nichts.
Kein Beifall wird gespendet, es entsteht eine beängstigende Pause, das Publikum wird gedacht haben, dass die Valente nicht nur ein Lied gesungen hat, sondern sich einen wahren, eben erlittenen Schmerz von der Seele gewuchtet hat. Doch dann kommt sie auf die Bühne zurück, der Lidstrich scheint durch ihre Tränen verschmiert. Ihr Lächeln erlöst die Zuschauer, die jetzt endlich applaudieren. War doch alles nicht so gemeint? Die Valente hat es nie erklärt. Dieter Bartetzko, ihr Chronist und Interpret, hat in ihr nach diesem Auftritt eine „Callas der Show“ entdeckt. Und er hat Recht. Nicht nur, dass die Valente wie die Callas im klassischen Fach fast wahllos alles sang, was man ihr vorschlug. Auch hat die Valente ihre Kunst nie verstanden als Übung, das wirklich Innerste nach Außen zu kehren. Alles nur Show, nichts als Show. Die wahren Tränen haben privat zu bleiben. Doch das Bild, das auf der Bühne zu sehen ist, muss sitzen, jede Geste, jeder Ton, jede Bewegung.
Caterina Valente ist diese Präsenz nicht in den Schoß gefallen. Nie hat sie aufgehört zu üben, Neues auszuprobieren, anderen zuzuhören, die Stile zu wechseln. Die Bühne betreten zu dürfen sei der Lohn, das geneigte Publikum zu erobern der Zweck, hat sie einmal gesagt, aber die eigentliche Arbeit findet lange vorher statt. Die Valente war berüchtigt für ihre Penibilität bei Proben, für ihre stets aufgeräumte Laune selbst nach achtstündigem Training.
Die Deutschen scheinen diese Professionalität allerdings immer ein wenig verdächtig gefunden zu haben. „Ganz Paris träumt von der Liebe“ mochten sie, das Lied wurde zum Hit und Evergreen. Markenzeichen wurden Schlager wie „Wo meine Sonne scheint“ oder „Steig in das Traumboot der Liebe“. Sentimentalitäten für ein Land, das der „Kultur der Landbevölkerung“ (Udo Jürgens) mehr anhing als dem internationalen Klang. Die besseren ihrer Songs sang die Valente in nichtdeutscher Sprache, die Sambas, Bossa Novas, den Jazz und den Folk.
Hierzulande gab es seit der Machtergreifung der Nazis kein avanciertes bürgerliches Entertainment mehr, kein „Olympia“ wie in Paris. Dass es in Deutschland an Höflichkeit und Respekt Künstlern gegenüber gebrach, die sich nicht gänzlich der Wirtschaftswundermunterkeit unterordnen wollten, hatte ja Anfang der Sechzigerjahre auch die Exilantin Marlene Dietrich erfahren müssen. Ausgepfiffen wurde sie von vielen Deutschen als „Vaterlandsverräterin“.
Diesen Schmäh musste Caterina Valente nicht aushalten, ein politisches Credo ist von ihr nicht geäußert worden. Trotzdem reimte man Verse wie: „Caterina Valente, hat’n Arsch wie ’ne Ente, hat’n Maul wie ’ne Kuh, und raus bist du.“ Für derlei Despektierlichkeiten mag nicht nur der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass die Valente alles gewesen war, nur nie ein Symbol des Frivolen, gar eines mit Sexappeal. Allzu clownesk wirkte ihre Aura, jedenfalls in Deutschland. Sondern auch die Vielzahl der Plattenaufnahmen, der Auftritte im Fernsehen. Den Jungen, den Achtundsechzigern war sie keine, auf die man zählen konnte. Selbst ihre Aufnahmen von Klassikern aus der Bürgerrechtsbewegung („Sag mir, wo die Blumen sind“) nahmen sie als Anbiederung und nicht als Versuch der Valente, sich einen neuen Zeitgeist zu erschließen.
Ende der Sechzigerjahre waren die guten Jahre der Valente in Deutschland vorbei, im Ausland hingegen feierte sie wie ehedem Triumphe. Doch ihren Zenit hatte sie überall hinter sich gelassen. Andere Stars durften nun fraglos tun, was man ihr ankreidete. Corry Brokken konnte so künstlich wirken wie sie wollte, es ward goutiert. Die neuen skandinavischen Schlagerstars, Siw Malmkwist, Wencke Myhre oder Dorthe, durften Kobolde sein, dass es nur beschämte, aber es wurde gemocht. Die Valente war ihrer Zeit voraus, und das ist im Popgeschäft tödlich. Prophetinnen werden nie belohnt.
Vor gut zehn Jahren scheiterte ein Projekt, das sie selbst vorgeschlagen hat, um ihr Können und ihr Wissen weiterzugeben. An einer Showakademie in Karlsruhe sollte sie – Ministerpräsident Lothar Späth fand den Plan wunderbar – Professorin werden. Die Idee wurde nie realisiert. Die Valente zeigte sich nur im privaten Gespräch enttäuscht. Sie hätte viel Grund gehabt, auch öffentlich böse zu reagieren, denn viele der Kritiker störten sich daran, dass die Entertainerin keine Akademikerin sei. Typisch deutsch: Kein Abitur und doch den Mund aufmachen.
Zum Geburtstag wird ihr dennoch Ehre zuteil. Bear Family Records hat die meisten ihrer Lieder auf CD-Boxen veröffentlicht. Die Mehrzahl der Anfragen nach diesen doch teuren Ausgaben kamen, kein Wunder, bislang aus den USA. In Deutschland wäre es eigentlich an der Zeit, dass man sie zu einer Housesession oder ins Studio einlädt, um Hiphop zu produzieren. Shirley Bassey hat neulich mit der Band „Propellerhead“ demonstriert, wie gut man als Alte mit Jungen mithalten kann. Der Valente, die es nach dem Tod ihres geliebten Bruders Silvio Francesco kaum noch zu Hause als Pensionärin hält, dürfte dieser Beweis nicht minder leicht fallen.
JAN FEDDERSEN, 43, ist taz.mag-Redakteur
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