■ Die Bonner Opposition darf den Euro nicht der Bundesbank überlassen. Europa ist mehr als Geldpolitik: Die panische Angst um die Mark
Die Bundesregierung betreibt bei der Europäischen Währungsunion ein seltsames Spiel. Auf der einen Seite gibt sie 15 Millionen Mark für eine Werbekampagne aus, die uns davon überzeugen soll, wie schön die Zukunft mit dem Euro wird. So erfahren wir unter der kostenfreien Telefonnummer 0180-5221999 von zwei freundlichen Stimmen im Wechselgesang, daß der Euro jährlich 30 Milliarden Mark an Umtauschkosten sparen wird. Auf der anderen Seite warnen Bundesbankpräsident und Finanzminister unablässig vor den Gefahren, sollte der Euro nicht so hart werden wie die Mark.
Man kann davon ausgehen, daß Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, den viele im Ausland ohnehin für den eigentlichen Bundeskanzler halten, und sein Finanzminister Theo Waigel mehr gehört werden als das nette Paar am Telefon. Die Angst ums Geld sitzt tiefer als der Glaube an die politische Vernunft. Deshalb dürfen wir gespannt sein, wie die Bundesregierung das Projekt Euro, das sie doch selbst angeschoben hat, vor dem Absturz retten will.
Will Tietmeyer den Euro überhaupt? Tietmeyer hat zur Zeit viel Macht, die er möglicherweise nicht an eine Europäische Zentralbank verlieren möchte. Diesen Verdacht hat er mit seinem Gerede von einer möglichen Verschiebung der Währungsunion selbst geschürt. Seine Forderungen nach strikter Einhaltung der Stabilitätskriterien gehen weit über den Maastrichter Vertrag hinaus. Dort sind Ausnahmen vorgesehen, die schon deshalb sinnvoll sind, weil beispielsweise die Begrenzung des Haushaltsdefizits auf drei Prozent auf keinerlei ökonomischem Sachverstand beruht. Die Zahl wurde in Maastricht gewählt, weil das gerade EU-Durchschnitt war und für alle leicht erreichbar schien.
Derzeit versuchen Tietmeyer und Waigel dafür vorzusorgen, daß der Euro doch kommt. Nach den Stabilitätskriterien wollen beide den Stabilitätspakt: Wer nach dem Eintritt in die Währungsunion mehr als drei Prozent Schulden macht, soll Strafe zahlen. Eine solche Stabilitätsmechanik bedeutet nicht weniger als das Festschreiben der aktuellen Sparpolitik für alle Zukunft. Die orthodoxe Politik der derzeitigen Regierung bekommt so quasi europäischen Verfassungsrang.
Doch Finanzpolitik ist mehr, als auf statistische Daten zu reagieren. Die Mehrheit der EU-Regierungen wehrt sich gegen die deutschen Vorstellungen, weil sie dadurch jeden wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum verlieren würden. Statt Regierungen könnte man künftig Computer hinstellen, die aus den statistischen Daten die Wirtschaftspolitik errechnen.
Erstaunlicherweise sind aus den Reihen der Sozialdemokraten bisher nur Stimmen zu hören, die Waigel vorwerfen, er würde die Sorge der Deutschen um die D-Mark nicht ernst genug nehmen. Wenn der Stabilitätspakt à la Waigel/Tietmeyer durchkommt, wird auch eine künftige, sozialdemokratisch geführte Regierung nur noch CDU-Politik machen können. Entweder die SPD sieht das nicht, oder sie will es sogar. Eine antizyklische Beschäftigungspolitik, die in Zeiten guter Konjunktur weniger, in schlechten Jahren mehr Schulden macht, ist dann nicht mehr möglich. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen dürfte das aber bald unvermeidlich werden. Wirtschaftsideologien haben eine Verfallszeit von 10 bis 15 Jahren. So wie der Keynesianismus der siebziger Jahre heute nur noch als veraltet belächelt wird, so wird es in einigen Jahren dem aktuell herrschenden Monetarismus gehen. Schuldenabbau ist gut und nützlich, aber die Regierungen werden auch wieder Beschäftigungspolitik machen müssen.
Die Chance dazu bietet die Währungsunion. Sie ist die Antwort auf die Globalisierung der Wirtschaft. Seit das Kapital auf jede Regung nationaler Regierungen mit Flucht reagiert, haben die Regierungen einen Wettlauf um den Abbau nationaler Vorschriften angetreten. Die Unternehmer treiben die Regierungen vor sich her. Allein der Slalom der Konzerne durch die unterschiedlichen Steuergesetze in der EU kostet die Regierungen jährlich bis zu 100 Milliarden Mark. Wollen sie ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, müssen sie die EU-Volkswirtschaften enger aufeinander abstimmen. Die Währungsunion ist ein wichtiger Teil dieser Strategie.
Die Frage ist also nicht, ob wir die Währungsunion brauchen, sondern wie. Solange die Diskussion in Deutschland vor allem von den Krämern rund um die Bundesbank geführt wird, geht sie am Thema vorbei. Geldwertstabilität ist wichtig, aber eine Regierung sollte auch andere Sorgen haben dürfen als die Arbeitslosigkeit oder den sozialen Frieden. Vielleicht besteht die Kunst gerade darin, die Balance zu finden.
Die Debatte in Deutschland vermittelt den Eindruck, als ob in den Ländern rundherum unberechenbare Regierungen mit Hyperinflationen jonglieren würden. Dabei geht es um Inflationsraten von drei bis vier Prozent. Mit Ausnahme der Bundesregierung haben im letzten Jahr alle EU-Länder ihr Haushaltsdefizit reduziert. Nur Bonn hat mehr Schulden als im Vorjahr gemacht.
Für die meisten EU-Länder verbindet sich mit der Währungsunion auch die Hoffnung, sich vom Diktat der Bundesbank zu befreien. Wenn Frankfurt die Zinsen erhöht, müssen sie nachziehen, weil ihnen sonst das Geld wegläuft. Die Hochzinspolitik beispielsweise, mit der die Bundesbank auf die wirtschaftlichen Folgen der deutschen Vereinigung reagierte, um eine Inflation zu verhindern, kam die Nachbarn teuer zu stehen. Der hohe Zins und die damit verbundene Überbewertung des Francs etwa haben die französische Konjunktur massiv gebremst.
So ist es kein Zufall, daß Frankreich am vehementesten fordert, den Stabilitätswahn der Bundesbank einzugrenzen und die Währungsunion auf ein politisches Fundament zu stellen. Ziel des gemeinsamen Geldes müsse es sein, die Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Der Euro müsse deshalb nicht durch einen Stabilitätspakt, sondern durch einen Wirtschaftsrat begleitet werden, der auf konjunkturelle Schwankungen reagieren kann. Die Bundesregierung hält das für Teufelszeug.
Und die deutsche Opposition? Bisher hat SPD-Chef Lafontaine zaghaft ausprobiert, ob die Forderung nach einem begleitenden Beschäftigungspakt bei den Wählern Anklang findet. Im wesentlichen aber hat er das Feld den populistischen D-Mark-Parolen von Gerhard Schröder überlassen. Die Währungsunion ist eine Chance für Europa. Vorausgesetzt, man überläßt sie nicht der Bundesbank. Alois Berger
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