press-schlag: Die öffentlich-rechtliche Bundesliga im Jahre 2012
„Feierabend, Günter!“
Wieder einmal ist Gerhard Delling völlig außer sich. „So spannend, lieber Günter Netzer, war die Bundesliga schon lange nicht mehr, oder finden Sie das etwa nicht, Sie alter Griesgram?“ Der große alte Mann der deutschen Pausenanalytik hebt die Augenbrauen, bevor er sagt: „Den Griesgram, Gerhard, lasse ich Ihnen heute noch einmal durchgehen, aber der Kampf um den Titel, der ja zur Qualifikation für die Qualifikation zur Qualifikation für die Champions League berechtigt, ist durch das 1:0 von Hertha BSC gegen Bayern München tatsächlich noch dramatischer geworden.“
Das ersehnte Stichwort für Delling, der umgehend abgibt ins Berliner Olympiastadion, wo Jochen Sprentzel den Torschützen Michael Preetz am Mikrofon hat. „Glückwunsch, Micha, mit bald 45 Jahren noch immer treffsicher, das ist beachtlich. Aber unsere Zuschauer interessiert natürlich vor allem, warum du das lukrative Angebot aus der albanischen Liga ausgeschlagen hast?“ „Ja, es ist wahr, Famagusta hat mir nicht nur 100 Euro mehr geboten, als ich in Berlin verdiene, sondern freie Kost und Logis obendrein. Aber ich finde es wichtig, dass ein paar deutsche Spitzenspieler noch in der Bundesliga aktiv sind.“
Gerhard Delling wischt sich schnell die Tränen der Rührung ab, bevor er sich wieder an Günter Netzer wendet. „Trotzdem, Günter, 800 Zuschauer im Olympiastadion, ist das nicht enttäuschend?“ „Sehr enttäuschend, zumal sich die Berliner durchaus noch Hoffnungen auf den zweiten Rang machen können und damit die Qualifikation zur Qualifikation für den Uefa-Cup, in der so attraktive Gegner wie Valur Reykajvík und Sheriff Tiraspol warten.“
Leider hört Delling schon nicht mehr zu, denn Sprentzel hat den Bayern-Trainer am Mikrofon: „Werner Hansch, die Niederlage trifft Ihr Team empfindlich. In dieser Saison haben immerhin 2.500 Menschen im Franz-Beckenbauer-Stadion das Champions-League-Qualifikationsrückspiel gegen Napredak Krusevac gesehen, das leider 0:8 verloren ging. Ohne solche Knüller wird es schwer werden, Leute wie Kapitän Stefan Effenberg zu halten, den sie ja gerade erst mit einer Jahreskarte für die Discothek P1 aus dem Ruhestand gelockt haben.“ Hansch lacht schallend und prustet: „Für diesen Fall haben Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer schon zugesagt, dass sie auflaufen. Aber nur, wenn Calli bei Leverkusen mitspielt. Hä, hä, hä. Im Übrigen hoffen wir auf einen besseren Fernsehvertrag.“
Delling und Netzer schaffen es nicht, ihr hämisches Grinsen rechtzeitig abzustellen. „Na, macht nichts“, sagt Delling, „unser letzter Zuschauer hat sowieso gerade abgeschaltet. Feierabend, Günter!“ MATTI LIESKE
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