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Die nordirische INLA zerstört sich selbst

■ Die sich sozialistisch nennende Abspaltung von der IRA hat in den vergangenen Monaten vor allem durch ein Dutzend Morde von sich reden gemacht, mit denen die beiden rivalisierenden Fraktionen versuchen, sich gegenseitig auszuschalten

Aus Dublin Ralf Sotschek

Die Hausbewohner schliefen noch, als es am frühen Morgen an der Tür von Kevin McQuillan, dem Sprecher der „Irischen Republikanischen Sozialistischen Partei“, klopfte. Sein Bruder Michael öffnete. Kurz darauf hatte er eine Kugel im Hinterkopf und ist seitdem gelähmt. Kevin McQuillan selbst kam mit Gesichtsverletzungen davon. Der Anschlag galt Mitgliedern eines der beiden Flügel der Irischen Nationalen Befreiungsarmee (INLA), die seit Beginn des Jahres in blutiger Fehde liegen. Die INLA hatte sich von der als zu moderat eingeschätzten IRA abgespalten, um militanten Nationalismus mit einer radikalen sozialistischen Politik zu verbinden. In Kevin Quillins Belfaster Haus, nur knappe hundert Meter von einer Polizeistation entfernt, hielten sich an jenem Morgen führende Mitglieder der GHQ–Fraktion (“General Headquarters“) und ihre Familien auf. Der Eindringling hieß Gerard Steenson, Führer des gegnerischen „Armeerats“. Fünf Tage später war auch Steenson tot. Die GHQ–Fraktion hatte sich gerächt und ihn auf offener Straße erschossen. Steenson, der schon mit 14 Jahren einen britischen Soldaten erschossen haben soll, war eine der bekanntesten Figuren des bewaffneten Kampfes gegen die britische Armee. Er wurde das zehnte Opfer eines blutigen Machtkampfes, bei dem eigentlich niemand weiß, um welche politischen Inhalte er geführt wird. Die Morde zwischen den streitenden INLA–Fraktionen begannen, als der „Armeerat“ im Januar dieses Jahres die GHQ–Gruppe zu innerparteilichen Firedensverhandlungen in ein Hotel im südirischen Dundalk einlud. Der „Armeerat“ nutzte das Treffen, um GHQ–Chef OReilly zu ermorden und zwei seiner Leute lebensgefährlich zu verletzen. Dabei wurde der zur Schlichtung angereiste Vermittler Thomas Power gleich mit erschossen. Der „Armeerat“ bedauerte dies später als „Versehen“. Doch die Rechnung der Pseudo–Armeeräte, ihre internen Gegner mit einem Schlag auszuschal ten, ging nicht auf. Auch ohne OReilly schlugen die Leute des selbsternannten „Hauptquartiers“ zurück. Bis heute ist in mehreren Fällen unklar, welcher Mord nun welcher Fraktion zuzuschreiben ist - nicht zuletzt, weil einige Fraktionäre die Fehde zum Anlaß nahmen, um auch rein private Rechnungen zu begleichen. Der Anfang vom Ende Das Ende von INLA und ihrem politischen Arm, der „Sozialistischen Partei“ IRSP zeichnet sich ab. Doch ihr Selbstmord ist nur die konsequente Fortsetzung der blutigen Geschichte seit ihrer Gründung. Treibende Kraft der sich als radikal und sozialistisch verstehenden IRA–Abspaltung war anfangs Seamus Costello, ein ehemaliger Offizier des „offiziellen“ IRA–Flügels. (Die „provisorische IRA“ hatte sich bereits 1970 abgespalten.) Als INLA und IRSP zunächst starken Zulauf erhielten, reagierte die „offizielle IRA“ gewalttätig auf die Rivalen: Nach monatelanger Fehde zählte man in beiden Lagern fünf Tote und über 70 Verletzte. In einer späten Racheaktion wurde Costello zwei Jahre danach von der „offiziellen IRA“ ermordet. Sein Tod hinterließ eine tiefe Lücke. Trotzdem gelang der INLA eine Reihe spektakulärer Aktionen: Sie ermordete den Nordirland–Sprecher von Margaret Thatchers damaligem Schattenkabinett, Airey Neave. Sein Auto wurde mitten auf dem Parlamentsparkplatz im Londoner Zentrum von einer Bombe zerstäubt. Die Behörden in beiden Teilen Irlands begannen jetzt, IRSP und INLA erbarmungslos zu verfolgen. Während die südirische Regierung mit konstruierten Anklagen arbeitete und auf die Gerichte setzte, bediente man sich im Norden protestantisch–loyalistischer Banden. Mit ihrer Hilfe wurde die gesamte Belfaster Führungsspitze von IRSP und INLA umgebracht. 1981 veränderte dann der Hungerstreik der Häftlinge für ihre Anerkennung als politische Gefangene den Kurs beider Organisationen. Von den zehn Gefangenen, die im Hungerstreik starben, gehörten drei der INLA an. Anders als die IRA, die nun den militärischen Kampf zugunsten ihres politischen Flügels Sinn Fein einschränkte, verstärkte die INLA ihre bewaffneten Aktionen. Allein 1981 ermordete sie 63 Menschen. Ihre Offensive mußte die INLA allerdings teuer bezahlen: Während des Hungerstreiks hatte sie wahllos Mitglieder rekrutiert - mit dem Ergebnis, daß zum Jahresende 1981 viele Schlüsselpositionen in der Organisation mit Polizeispitzeln besetzt waren. Dies war schließlich ihr Anfang vom Ende. Ein Kronzeuge namens Kirkpatrick brachte fast die gesamte Belfaster „Brigade“ der INLA in den Knast - insgesamt 26 Leute. Derweil zerfiel auch die Untergrundführung in Dublin. Folter unter Genossen Nachdem Stabschef Dominic McGlinchey 1984 verhaftet worden war, lag die militärische Führung bei John OReilley. Als sich dann eine innerparteiliche Opposition bildete, die über eigene Waffenvorräte verfügte, begann OReilley brutal gegen sie vorzugehen. Den Generalsekretär der IRSP namens Ruddy folterte er 1985 in Paris, um ein Waffenversteck von ihm zu erfahren, und brachte ihn anschließend um. Die im Knast einsitzenden INLA– Leute spalteten sich daraufhin in zwei Lager. Die Mehrheit stellte sich hinter OReilley, die Minderheit unterstützte den Führungsanspruch der „Armeerat“–Gruppe um Gerard Steenson. Die blutige Fehde brach schließlich zu Weihnachten 1986 aus, nachdem ein Berufungsgericht die 26 vom Kronzeugen Kirkpatrick angeschwärzten Männer freigesprochen hatte. Kaum in Freiheit, versuchten Steenson und seine Leute, die Fraktion des „Hauptquartiers“ zu liquidieren. Von der nordirischen Polizei (RUC) blieben sie dabei weitgehend unbehelligt. Die kalkulierte offenbar richtig, daß sich die Leute, denen mit einem geschmierten Kronzeugen nicht beizukommen war, jetzt gegenseitig umbringen würden. Erst als das Dutzend Tote voll war, schlossen beide Fraktionen Ende März einen Waffenstillstand. Angeblich wollen sie jetzt separate Organisationen aufbauen. Zwei IRSP–Anführer trauen dem Frieden allerdings nicht: Sie haben politisches Asyl in Frankreich beantragt.

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