: Die neuen Männerphantasien
Schwules Begehren zwischen Bauwagenchaos und Skinhead-Ordnung: „Oi! Warning“ ist ein Film über die Kontinuität männlicher Aggression. Im Regiedebüt der Zwillinge Benjamin und Dominik Reding bleibt die Suche nach der politischen Orientierung so instabil wie die eigene Sexualität
von DIETRICH KUHLBRODT
Gleich im ersten Bild bist du dran. Der Ganzkörperskin posiert nackt im deutschen Hochwald, ein tätowiertes Band hebt die klasse Armmuskeln hervor, die blonde Frau, züchtig im hochgeschlossenen Polohemd, hat bewundernd die Hände zusammengeschlagen, überhelles Sonnenlicht blendet dich, oder sind wir in einer „Siegfried“-Inszenierung? Es riecht streng nach family values, aber du sitzt im Kino, das Bild sagt dir, wo’s langgeht, es ist schwarzweiß, eindeutiger geht’s nicht, und du musst Schluss machen damit. Auf der Stelle. Es muss bitte schön auf der Stelle dunkel werden, sofort, oder gleich eine Stinkbombe. Eine Handgranate? Genau wenn du so weit bist, macht der deutsche Held zum ersten Mal den Mund auf, wieder sagt er nichts, aber reißt mit seinen Zähnen den Zünder von der Handgranate und sprengt sich, die Maid, die deutsche Szene weg. Er tut alles, was du tun wolltest. Da sitzt du nun im Kino. Du warst in Gedanken böse und aggressiv geworden. Der Siegfried-Skin hat dir das Tätigwerden abgenommen, und es ist sinn- & zwecklos, dass du dich verwahrst, von diesen Bildern penetrant geduzt zu werden, denn im Kino sind wir alle Kumpel. Das ist medientheoretisch abgesichert: Der Rezipient ist der (Co-)Produzent des Projektions-Events Film.
Also Ruhe jetzt, bitte. Im Film wird schließlich auch nicht gesprochen, na ja: wenig. Dialoge oder Kommentar werden uns nicht viel helfen. Was aber hilft, ist wieder eine grandiose Szene, etliche Akte weiter: ein total schmutziges Bild. Gesagt wird wieder nichts; aber wir sehen, dass „Oi! Warning“ tatsächlich von „Schlammtaucher Film“ produziert ist. In einem leeren, versifften Schwimmbecken wälzt sich Zottel, der wild gepiercte Bauwagenpunk, oder sagen wir gleich: der Neue Bauwagen-Primitive, in Mud und Matsch. Das quitscht und quatscht und spritzt und lacht, da braucht nichts entschieden zu werden, weil das ist Antwort und keine Frage. Der Schlammtaucher ist das Gegenbild zum hehren Recken in der Anfangsszene. Die so schön provoziert hatte. Und wenn wir an Leni Riefenstahl und die germanische Ästhetik gedacht hatten, so hat uns der Film nicht ohne Witz an der Nase herumgeführt.
Der Anfang stellt sich als Vision heraus. Von wem auch immer. Außerhalb des imaginären Buchenhains ist Koma, der Skin-Protagonist des Films, kein Held, wohl aber fehlsozialisierter Kleinbürger, männerbündlerischer Macho und eifersüchtiger Kumpel, der von seiner Sexualität nicht viel weiß. Ja, Vater ist er, das führt der Film und im Film er selbst vor; leider aber bringt er die ganze Geschichte aus lauter Ignoranz zu einem melodramatischen Ende von pasolinischem Ausmaß. Wer ihm und seinen vagen homoerotischen Gelüsten in die Quere kommt, dem gehören auf dem Kantstein die Zähne ausgeschlagen. „Oi! Warning“ zeigt, wie das Bordstein-Bashing geht.
Den Plot erzählen? Sich rezensiv entscheiden zwischen Weiß und Schwarz, zwischen steriler Inszenierung und fertilem Camp? Janosch, voll in der Orientierungsphase, trifft seinen Schulfreund Koma wieder, der in einer Dortmunder Einkaufspassage gerade dabei ist, mit seiner Skin-Gang einen alten Wichser fertig zu machen, der Kids anlabert. Der Alte muss aus einer Bierflasche Komas Pisse trinken. Jung-Janosch ist fasziniert und lässt sich die Haare scheren. Aber dann kommt der Neue Wilde, Schlamm-Zottel. In seinem Bauwagen-Chaos wirbt ein APPD-Plakat in Fraktur mit dem Wahlspruch: Arbeit ist Scheiße. Janosch orientiert sich um: lieber guten Sex mit dem, der für den Skin die Zecke ist. Koma wird sich selbst unklar. Er ist eifersüchtig.
So weit ist „Oi! Warning“ ein Film für Jungs, hyperrealistisch und daher orientierungsbedürftig. Das Wahlplakat der Allgemeinen Pogo Partei Deutschlands weist auf den Bundestagswahlkampf 1998 hin, die Drehzeit des Films. Einmal fällt das Wort Naziglatze. Heute, zwei Jahre später, wäre es Schlagwort. „Oi! Warning“ nimmt sich die jungmännliche Orientierungssuche zum Thema; die politische Entscheidung bleibt ebenso wie die Suche nach der eigenen Sexualität instabil. Im Film wird die sterile Sauberkeit und Ordnung der Skin-Welt durch das warme und humane Chaos der Bauwagen-Punks abgelöst. Das ist eine klare Entscheidung. Erklärungsbedarf aber gibt es, wenn die Frauen präsent werden. Das Phänomen Maid/Weib/Mutter wird von unseren Skin-Herren als Projektionsfläche benötigt: erstens um sich beim Posing nicht selbst zu spiegeln; zweitens um ein hierarchisches Bild für das Wertkonservative zu haben, insbesondere für die Familienwerte.
Ja, die Frau wird von Koma aus ideologischen Gründen gebraucht, und dass dies so ist, sagen die Bilder des Films. Klaus Theweleit hat die „Männerphantasien“ vor mehr als zwanzig Jahren an „Frauen, Fluten, Körper, Geschichte“ orientiert. Sieht man „Oi! Warning“, hätte er sein Buch damals nicht nur für die Vergangenheit, sondern leider auch für die nächste Zukunft schreiben müssen. Ihm war es angesichts der Männerkörper um die Psychoanalyse des weißen Terrors gegangen, um Vergangenheitsbewältigung; heute geht es um einen aktuellen Terror, um die allgegenwärtige rechte Gewalt. Fazit: Die „Männerphantasien“ müssen fortgeschrieben werden. „Oi! Warning“ führt es vor. Der Film hat Recht. Es gibt eine Kontinuität der männlichen Aggression. War ich nicht selbst bereit gewesen, ein Ende zu machen mit der ersten, der Lichtgestalt-Szene des Films? Hätte ich zugeschlagen?
Als ich aus dem Kino kam, war in der Kneipe gleich links der Skin-Tresen. Nach dem dritten Bier laberte ich Niels an: „Sachma, bist du Nazi?“ Niels: „Ich bin gegen die Regierung.“ Ich: „Aber das ist doch prima, dass sie das Fiftyfiftytaxi eingeführt hat“ (das gibt’s in Norddeutschland. Damit nach Disco oder Club die Bekifften und Betrunkenen das Taxi nur halb bezahlen. Die andere Hälfte zahlt „die Regierung“). Niels: „Da bin ich völlig gegen. Wer nicht fahren kann, soll nicht fahren oder gleich das Auto zu Hause lassen.“ Ich: „Ich mein doch nur ...“ Niels, schärfer: „Ich lass mir in meine Ansichten nicht reinreden.“ Ich, noch schärfer: „Du bist mir schön konservativ.“ Er: „Ich seh’s an deinen Augen, mit dir kommt man nicht klar.“ Sein Kopf war irgendwie rot angeschwollen. Er trank sein Bier mit rechts. Rechtshänder. Was muss ich jetzt tun? Rechts der Haken, Unterarm links hoch und den Kopf rechts zurück? Oder gleich die Handgranate?
Zurück zum Film. Alles auf Anfang. In der Vision sprengt Skin-Führer Koma die Frau weg, in Wirklichkeit ist er familienbewusst. Er braucht Nachwuchs. Eine reale Frau gebärt ihm Zwillinge: „Beste Sperma-Ausnutzung. Sind zwar nur Mädchen, aber immerhin Skinheads“ (Koma). Die Familie hat sich so eingerichtet wie alle Familien: Zum Festtag backt die junge Mutti eine Torte und spritzt aus der Garniertülle das Wort drauf: Oi! Dann sitzen alle auf dem Sofa vor der Glotze. Eine Sitzanordnung, die wir im Film vorher schon gesehen hatten: im unerträglichen Elternhaus.
Ich sach doch: die Kontinuität. Im Bild. Als reines Bild ist der Film auch komponiert: Das Drehbuch besteht aus 650 Schwarzweißgrafiken, aus denen die 650 Einstellungen des Films wurden. Und die sind von Axel Henschels begnadeter Kamera gewissenhaft umgesetzt. Man mag es fast nicht glauben, dass die Darsteller bei diesen Vorgaben zum Spiel fanden, und das erscheint zwanglos, glaubhaft.
Den unfertigen Männern glaubt man die Orientierungsphase schon deshalb, weil die Rolle ihre Fortsetzung ist. Simon Goerts (Koma) betreute behinderte Kinder in einem Sozialprojekt, arbeitete als Bühnenbauer im „Schmidt-Theater“ an Hamburgs Reeperbahn, brach eine Frisörausbildung ab und wohnte auf einem Bauwagen-Platz in Hamburg. Ja, und als Model für Mode-Shootings brauchte er das Posing im Hochwald nicht mehr einzustudieren. Sascha Backhaus (Janosch), Sänger in einer Punkband, begann nach dem Film eine Ausbildung als Tischler. Und Jens Veith (Zottel), Bauwagenbewohner, lebte vor dem Film in einem besetzten Haus im Hamburger Schanzenviertel und schluckt jetzt Feuer auf Technopartys in Norddeutschland.
Die Regisseure, die Reding-Zwillinge, 28, geboren in Dortmund, haben mit ihrem Debüt einen starken Bilder-Film gemacht, der mehr erzählt als der wortreichste Dialog. Bilder haben die Eigenschaft, dass sie nicht ausdefiniert werden können. So ist „Oi! Warning“ von der gleichen Offenheit, mit der Protagonist Janosch die Szene wechselt, vom Skin zum Punk. „Oi! Warning“ hört hin und sieht hin. Der Film fixiert nicht, und er lässt sich nicht fixieren. Er ist ein Erstlingsfilm. Er ist da. Deshalb gibt’s hier nichts Schlaues zu sagen über Dinge wie das Reding-Oeuvre oder ihr Verhältnis zum deutschen Film. Stand der Dinge ist: Es gibt „Oi! Warning“, und es gibt die, die es in ihrem Film gibt, es gibt außerdem Niels, die Regierung und das Fiftyfiftytaxi, die Kontinuität und die Hyperrealität. Und wenn der Film auf allen möglichen Festivals läuft, und wenn er Gott sei Dank von denen die Preise bekommt, an die er sich richtet, dann gehen die vielen Publikumspreise an einen Film, der den Punkt trifft, an dem man immer schon hätte zuschlagen mögen.
„Oi! Warning“. Regie: Dominik und Benjamin Reding. Mit Sascha Backhaus, Simon Goerts, Jens Veith u. a., D 1998, 89 Min.
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