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Die neuen Lebenden Waffen

■ Die Gentechnologie hat eine zweite Generation biologischer Waffen möglich gemacht / Während konventionelle B–Waffen des Zweiten Weltkrieges weitgehend unkontrollierbar waren, können die neuen Gifte und Seuchenerreger in Kleinlabors produziert und genau auf einen bestimmten Gegner maßgeschneidert werden / Seit 1981 sind die US–Ausgaben für biologische Waffen auf das Zehnfache gestiegen / Zur Begründung muß eine angebliche „Genlücke“ gegenüber der Sowjetunion herhalten

Biologische Waffen sind lebende Organismen oder daraus gewonnene Substanzen, die zu militärischen Zwecken eingesetzt werden. Es kann sich dabei um Bakterien, Viren, Rickettsien, Toxine, ja sogar um Hormone handeln. Ihre Wirkung reicht von bloßer Lästigkeit über vorübergehende Handlungsunfähigkeit bis zur Vernichtung von Lebewesen. Es gibt sie bereits seit Tausenden von Jahren, aber erst in letzter Zeit haben sie sich - dank der wundertätigen Gentechnologie, die ihre früheren Schwachpunkte als Waffensysteme zum Teil beseitigen konnte - zu einem bedeutenden militärischen Potential entwickelt. Eines der frühesten bekannten Beispiele stammt aus dem 14. Jahrhundert, als die Mongolen pestverseuchte Kadaver über die Stadtmauern von Kafa (das heutige Feodossija), nahe Jalta am Schwarzen Meer, warfen, nachdem sie die Stadt drei Jahre lang vergeblich belagert hatten. Die Verteidiger flohen per Schiff nach Europa, wobei sie die Krankheit natürlich mit sich schleppten, anstatt ihr zu entgehen. So kam es zu dem „Schwarzen Tod“, der in den folgenden fünf Jahren ein Drittel der Bevölkerung Europas vernichtete. Die Japaner setzten während des Zweiten Weltkrieges in mindestens elf chinesischen Städten biologische Kampfmittel ein, darunter Pest, Anthrax und Paratyphus. Darüber hinaus führten sie ein umfassendes Programm zur Erforschung biologischer Waffen durch, bei dem sie 3.000 Kriegsgefangene als Testpersonen verwendeten. Die Alliierten experimentierten ebenfalls mit biologischen Waffen. 1941 zündeten die Briten auf der Insel Gruinard vor der schottischen Westküste mehrere kleine Bomben, die Anthrax–Sporen enthielten. (Antrax ist eine Krankheit, die hohes Fieber, bläuliche Lippen und Ohren sowie Atembeschwerden hervorruft und innerhalb weniger Stunden zum Tode führen kann.) Wie effektiv diese Waffe ist, zeigt sich daran, daß die Insel noch heute, 45 Jahre später, unbewohnbar ist. Die Nachteile natürlicher Biowaffen Die angeführten Beispiele betrafen „konventionelle“ biologische Waffen, d.h. natürliche Organismen, die Krankheiten verursachen. Zu diesen konventionellen biologischen Kampfstoffen zählen die Erreger von Pest, Antrax, Pocken, Botulismus, Rift– Valley–Fieber, Denguefieber, hämorrhagischen Fiebererkrankungen, Enzephalitis, Chikungunyafieber, Hepatitis, Malaria und Meningitis. Sie waren jedoch bei den Kriegführenden nie so recht beliebt, weil sie im Grunde nicht zuverlässig genug und schwer zu kontrollieren sind. Es war schwierig, sie ohne Gefahr für die eigenen Truppen und die eigene Bevölkerung herzustellen und einzusetzen. So war es kein großes Opfer für US–Präsident Richard Nixon, 1969 einseitig auf diese Waffen zu verzichten. Dies wiederum war ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu der Konvention über Biologische Waffen - dem ersten effektiven Abrüstungsvertrag der Welt, da er die Abschaffung einer gesamten Waffenart vorsieht, während es sonst lediglich um eine zahlenmäßige Begrenzung ging. Allerdings wurde dieser Vertrag 1972 abgeschlossen, also noch vor der Entdeckung der wichtigsten Verfahren der Gentechnologie. Ein paar Jahre später wäre er wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen. Trotz dieser Konvention schleichen sich durch die Hintertür still und heimlich die biologischen Waffen ein. In einem Artikel des Wall Street Journal vom 19. September 1986 heißt es unter Berufung auf Angaben des US– Verteidigungsministeriums, dessen Ausgaben für biologische Waffen hätten sich in den letzten fünf Jahren verzehnfacht. In absoluten Zahlen und verglichen mit anderen Posten im Verteidigungsetat wie Atomraketen und Star Wars–Programm sind die Kosten immer noch gering. Die Herstellung dieser Waffen ist so billig, daß man sie bereits als die „Atombombe des kleinen Mannes“ bezeichnet hat. Im gleichen Zeitraum gab es einen leichten Rückgang bei den Geldern, die die „National Institutes of Health“ in den USA für zivile gentechnologische Forschungen zur Verfügung stellten. Immer mehr Biologen sahen sich gezwungen, ihren Lebensunterhalt in der Rüstungsforschung zu suchen. Das Pentagon wiederum ist sich dessen bewußt und schreibt bereits stellen für Biologen aus. Auch die großen Laboratorien, die durch Kernwaffenforschung berühmt geworden sind - wie Lawrence Livermore in Kalifornien und Los Alamos in New Mexico, wo die Atombombe erfunden wurde - arbeiten verstärkt an der Erforschung biologischer Waffen. In Lawrence Livermore ist z.B. ein Großprojekt angelaufen, um die gesamte Zellkern struktur des Menschen aufzuzeichnen, d.h. Lage und Funktion jedes einzelnen Gens in der menschlichen DNS darzustellen. Die Erfindung der „Gen–Lücke“ Ein zweites Anzeichen dafür, daß das biologische Wettrüsten bereits begonnen hat, sind die Aktionen und öffentlichen Verlautbarungen von Vertretern des Verteidigungsministeriums und der Regierung zu diesem Thema, und da wird jetzt ein eindeutig anderer Ton angeschlagen. In den letzten Jahren wurde eine Hetzkampagne gestartet, die die Sowjets beschuldigt, den Vertrag über biologische Waffen zu verletzen: Angeblich setzen sie in Südostasien und Afghanistan Toxine ein (den sogenannten „Gelben Regen“) und führen ein offensives Biowaffenprogramm durch. Das wird aus einem ungewöhnlichen Ausbruch von Anthrax in Swerdlowsk (UdSSR) im Jahre 1979 geschlossen (angeblich ein Unfall in einem Biowaffenlabor). Diese Behauptungen wurden unter dem Titel „Nichteinhaltung des Rüstungskontrollabkommens durch die Sowjets“ in einem Sonderbericht des State Department vom Dezember 1985 veröffentlicht. Keine dieser Anschuldigungen ist bisher belegt worden, sie tragen jedoch zu dem Eindruck bei, es gäbe eine „Gen–Lücke“, ähnlich der „Raketen–Lücke“ in den sechziger Jahren. Die eindeutigsten Aussagen lieferten diesen Sommer die Berichte über das Biowaffen–Programm, die das Pentagon an den amerikanischen Kongreß schickte. Douglas J. Feith, damals Referent des Verteidigungsministeriums für Verhandlungsfragen, nannte in seinem Bericht für einen Ausschuß des Repräsentantenhauses die biologischen Waffen „billig, sauber, schnell und vielseitig einsetzbar.“ Die Washington Post zitierte ihn mit den Worten: „Das Verteidigungsministerium war vor Jahren mit Präsident Nixon der Meinung, daß bei dem damaligen Stand der Technik biologische Waffen... militärisch nicht von Bedeutung waren. Im Vergleich zu dem, was uns damals zur Verfügung stand, gab es bessere Waffen... Früher dachten wir, selbst wenn sie (die Sowjets) sie haben, sind es keine besonders guten Waffen. Jetzt steht fest, daß biologische Waffen unter Einbeziehung der neuesten Technik in der Tat eine besonders gute Waffe sein könnten.“ Produktion in Kleinlabors Die Neueinschätzung der militärischen Bedeutung biologischer Waffen ist der Gentechnologie zu verdanken. Die Gentechnologie hat den Produktionsprozeß minimiert und beschleunigt, so daß es nicht mehr nötig ist, große Mengen pathogenen krankheitserregenden Materials zu lagern. Die Angriffswaffen können dann innerhalb weniger Tage in einem kleinen Labor, das nicht von einem kommerziellen Betrieb zu unterscheiden ist, aus einem winzigen Samenvorrat hergestellt werden. Durch Neukombination der DNS können neue pathogene Organismen im Labor hergestellt werden, die es in der Natur nie gegeben hat. Da die Zahl und die Typen dieser synthetisch hergestellten Wirkstoffe praktisch unbegrenzt sind, wird der Gedanke an eine medizinische Verteidigung im Grunde absurd. Ein denkbares Beispiel für diese neuen pathogenen Organismen wäre ein Grippevirus mit einem eingebauten Kobra–Gen, das auf die Produktion von Schlangengift programmiert ist. Der mit einem solchen Super– Erreger infizierte Körper eines Menschen würde glauben, daß er sich gegen die Grippe wehrt, aber gleichzeitig selbst mit der Produktion von Kobragift beginnen und so schließlich das eigene zentrale Nervensystem vergiften. Eine andere Möglichkeit wäre die Einpflanzung eines auf Giftproduktion programmierten Gens in einen freundlichen Mikroorganismus, wie er im menschlichen Darmtrakt vorkommt. Der angreifende Organismus würde so vom Körper nicht als etwas erkannt werden, gegen das er sich wehren muß. Ungeahnte Möglichkeiten Die Einpflanzung von Genen kann außerdem die Bösartigkeit natürlicher pathogener Wirkstoffe erhöhen, zum Beispiel durch Verbesserung ihrer Resistenz gegen Antibiotika. Darüber hinaus können sie auf unterschiedliche Klimabedingungen zugeschnitten und zur effektiveren Verbreitung stabilisiert werden. Theoretisch ist es heute schon möglich, „ethnische Waffen“ zu konstruieren, die sich aufgrund von rassisch bedingten Unterschieden in den Genzahlen gegen bestimmte rassische Gruppen richten (so gibt es beim Menschen mindestens zwölf Gene, von denen man weiß, daß sie die Giftanfälligkeit kontrollieren). Diese neuen Merkmale machen die biolgoischen Waffen in verschiedener Hinsicht interessant für die Militärs. Durch Fortschritte der Immunologie ist es heute möglich, gleichzeitig mit einem neuen Krankheitserreger den passenden Impfstoff dagegen zu entwickeln, so daß Truppen und Bevölkerung des Aggressors vor Einsatz dieses Wirkstoffs dagegen immunisiert werden könnten. Biowaffen sind ideal für „Konflikte von geringer Intensität“, die seit dem Zweiten Weltkrieg beliebteste Form der Kriegsführung. Man könnte Wirkstoffe entwickeln, die im Zielgebiet vorkommenden Krankheiten oder Seuchen ähnlich sind. Die Opfer wissen dann nicht einmal, daß sie angegriffen wurden. Für länger dauernde Kriege könnte ein Biowirkstoff entwickelt werden, der einfach die Wirtschaft des Gegeners lähmt, beispielsweise durch Vernichtung eiener Hauptexportfrucht wie Zuckerrohr in Kuba oder Kaffee in Nicaragua. Dies würde durch die moderne Landwirtschaftspraxis der Monokultur noch begünstigt. Wird ein kurzfristiger Effekt gewünscht, könnten Hormone oder Halluzinogene über das System der Wasserversorgung verteilt werden, die die normalen Körperfunktionen unterbrechen und Stimmungsumschwünge in der Bevölkerung bewirken. Übersetzung: Gertraude Krueges

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