: Die netten Engelmacher von Bullerbü
Domestizierte Unkonventionalität: Mit „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ finden Autor John Irving und Regisseur Lasse Hallström zum Gleichklang
Lasse Hallström hat eine Schwäche für beschädigte Idyllen. Doch wer hat die nicht. Schließlich wirkt ein dosiertes Maß an Unglück in einer wohl geordneten Umgebung intensitätssteigernd. In seinen bekanntesten Filmen „Mein Leben als Hund“ und „Gilbert Grape“ setzte Hallström dieses Konzept allerdings mit so viel Fingerspitzengefühl um, dass mehr herauskam als ein Loblied aufs Kleinstadtleben in seinen großen und kleinen Gefühlsmomenten. Sowohl der kleine Ingmar, der mit dem Sterben seiner Mutter fertig werden muss, als auch der in seiner Familienvaterrolle überforderte Gilbert – beide sind sie umgeben von Menschen, die außer Schrullen keine besonderen Eigenschaften besitzen und doch vor allem eines sind: gut genug. Hallström trifft damit den Nerv der Zeit und insbesondere die Neigungen jener Generation, die mit Astrid Lindgrens „Kinder von Büllerbü“ (die er auch verfilmt hat) aufgewachsen ist. Seine Filme sind Ausdruck jener Spielart des modernen Humanismus, die im Menschen nicht mehr das Heroische bewundern will, sondern seine Mittelmäßigkeit und Alltäglichkeit.
Die Vorliebe fürs Antiheroische prädestinierte ihn schon lange für eine John-Irving-Verfilmung, gründet sich dessen Popularität doch auf ganz ähnliche Haltungen: Menschlichkeit zeigt sich in seinen Romanen in einer Art domestizierter Unkonventionalität, die ein gewisses Maß (üblicherweise als Vorurteilsfreiheit gelobt) nie überschreitet. In „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ kommen Hallström und Irving nun also zusammen und beweisen einmal mehr, dass zu viel Gleichklang auch die weniger schönen Frequenzen verstärkt.
Vordergründig geht es natürlich ums Erwachsenwerden. Verhandelt wird dies in „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ an dafür eher ungewöhnlichen Problemfragen, nämlich Abtreibung und Missbrauch im Amerika der Dreißigerjahre. Toby Maguire spielt den Vollwaisen Homer, der in einer Idylle der anderen Art aufwächst. Denn „St. Cloud’s“ ist ein Waisenhaus, in dem nicht nur Kinder abgegeben werden, sondern auch illegal Abtreibungen vorgenommen werden. Aus Überzeugung, wohlgemerkt. Der Arzt, warmherzig verkörpert von Michael Caine, handelt dabei aus reiner Menschenliebe, und diese Mission liegt ihm so sehr am Herzen, dass er seinen Ziehsohn Homer schon mal als Nachfolger ausbildet.
„St. Cloud’s“ ist seltsamerweise zugleich trautes Heim und trauriger Ort. Die Schwestern, der Arzt, die Kinder, alle sind sie lieb mit verzeihlichen Fehlern; es herrscht Harmonie, und trotzdem ist das Waisenhaus vor allem ein Raum der Sehnsüchte, die nie gestillt werden. Wem sie gelten und weshalb sie schwer zu kompensieren sind, bringt einer der kleinen Jungs auf den Punkt, indem er die Schlüsselszene aus „King Kong“ (der Gorilla streichelt zärtlich die weiße Frau in seiner Riesenpranke) kommentiert: „Nicht wahr, King Kong denkt, die Frau sei seine Mutter.“
Eines Tages zieht es auch Homer hinaus in die Welt. Als Apfelpflücker landet er in einem weiteren Schlafsaal, diesmal mit schwarzen Saisonarbeitern. Auch hier gibt es wieder eine Art Ziehvater für ihn, nur dass sich dann herausstellt, dass der die eigene Tochter missbraucht. Homer vollzieht seine erste selbstständige (erwachsene!) Abtreibung.
Sieben Oscar-Nominierungen haben Hallström/Irving für ihren Film eingeheimst. Das kann man getrost auch als Anzeichen dafür lesen, wie versöhnlich das Abtreibungsthema hier eingebunden wird. Schwerlich will man das dem Film zum Vorwurf machen.
Und doch: Wie im deutschen Verleihtitel viel deutlicher als im englischen Original („The Cider House Rules“) hervorgehoben, soll es um moralische Ambivalenzen gehen. Aber die grundsätzliche Menschenfreundlichkeit, die Hallström mit Irving so kongenial teilt, umschifft gerade das Abgründige des Alltäglichen.
Überhaupt hinterlässt das Vaterthema, so zentral für das Erwachsenwerden der Hauptperson, einen ganz eigenartigen Eindruck. Denn Homer trägt seinen Konflikt mit dem liberalen Ziehvater nie aus.
Wie dieser es gewollt und sorgfältig vorbereitet hat, tritt er am Schluss an seine Stelle, ahmt ihn regelrecht nach. Fast könnte man sagen, er wird gar nicht erwachsen, er fügt sich. Im cross-reading lässt sich hier so zusagen das Drama mit den 68er-Vätern erkennen: Wie soll man sich gegen Väter emanzipieren, die ideologisch richtig lagen? Irving/Hallström scheinen darauf die nur bedingt versöhnliche Antwort zu geben: Wartet, bis wir abtreten, und tut es uns dann nach.
BARBARA SCHWEIZERHOF
„Gottes Werk & Teufels Beitrag“. Regie: Lasse Hallström. Mit Michael Caine, Tobey Maguire u. a., USA 1999. 131 Min.
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