: Die lila-weiße Schwäche
Harm-, chancen- und scheinbar willenlos nehmen die Osnabrücker Kicker den wahrscheinlichen Verbleib in der Regionalliga Nord hin. St. Pauli sichert ein torloses Unentschieden die Tabellenspitze
AUS OSNABRÜCK HEIKO OSTENDORF
Aus den Lautsprechern dröhnt nach dem Abpfiff das musikalische Fußball-Klischee „You’ll never walk alone“. Doch einer ist an diesem Tag sehr einsam: Der Trainer des VfL Osnabrück, Claus-Dieter „Pele“ Wollitz, steht während des gesamten Spiels verloren am Rand seiner Coaching-Zone, versucht die Mannschaft nach vorn zu peitschen, dirigiert und hält immer wieder beide Hände vor den Mund. Wollitz kann einfach nicht fassen, was ihm seine Mannschaft an diesem Samstag bietet.
Mit St. Pauli ist der Tabellenführer der Regionalliga Nord zum Spitzenspiel an die Osnabrücker „Bremer Brücke“ gekommen. Doch wie so häufig, wenn entscheidende Begegnungen anstehen, ist auch diese Partie nur vor dem Anpfiff wirklich spannend: Mindestens sieben Vereine streiten derzeit um die beiden Aufstiegsplätze in die zweite Liga. Osnabrück hatte die besten Chancen – bis vor einigen Wochen. Von Oktober bis Mitte April hatte man sich auf einem der ersten beiden Ränge behauptet. Dann kam der Einbruch.
Wollitz behauptet, er habe seiner Mannschaft nach recht unengagierten Trainingseinheiten geglaubt, dass sie wenigstens am Samstag ab 14 Uhr alles gibt. Jetzt fühlt sich der Trainer getäuscht, spricht seinen Spielern die richtige innere Einstellung ab. Der Fußballlehrer, der seine Emotionen stets vor sich herträgt, ist sicht- und hörbar ernüchtert. Das Team in Schutz zu nehmen, wie bei anderen schlechten Spielen zuvor, kommt für ihn heute nicht in Frage. Heftig kritisiert Wollitzer das Zusammenspiel im Mittelfeld, auch bemängelt er die fehlende Laufbereitschaft.
Fast klingt es wie eine Abrechnung. Und es wird verständlich, warum Osnabrücks Coach nie das Wort Aufstieg in den Mund genommen hat. Vor Journalisten hielt sich der 41-Jährige bis vor wenigen Tagen stets zurück. Andere, etwa Vereinspräsident Dirk Rasch, haben das Ziel Profifußball berufsbedingt längst ausgegeben. Sie sehen auch nach dem jüngsten torlosen Unentschieden, das den dritten Tabellenplatz der Niedersachsen zementiert, keinen Grund für Hoffnungslosigkeit.
Ein Blick auf den Rasen nach Spielende sollte den Optimisten allerdings zu denken geben. Da ließen die Spieler nicht nur die Köpfe hängen, sondern hatten sich zum Teil bereits aufgegeben. „Anscheinend ist die Mannschaft nicht in der Lage, da oben mitzuspielen“, kapitulierte der völlig deprimierte VfL-Kapitän Thomas Reichenberger frühzeitig. Ziellos schlichen die VfLer über das Feld, gingen kurz in Richtung Fankurve, um dort ausgepfiffen zu werden, gratulierten dann dem Gegner und schienen nicht nur spielerisch orientierungslos.
Im Mittelkreis feierten die Gäste aus Hamburg dagegen den einen Punkt wie einen Sieg. Schließlich hatten sie seit der 56. Minute eine ungerechte rote Karte gegen Florian Lechner verkraften müssen. Dennoch bestand für St. Pauli nie die Gefahr, hier und heute zu verlieren. Zu harmlos, chancenlos und scheinbar willenlos agierten die Gastgeber. Selten gelangen Kombinationen, noch seltener glückte ein gefährlicher Schuss aufs Tor. Die Paulianer übrigens erfüllten ihre Aufgabe nicht besser: Zwar hatten sie das Spiel fast ständig im Griff, aber das war eher Verdienst der lila-weißen Schwäche.
Alles war bereitet für eine große Partie: ein mit 18.200 immer noch optimistischen Zuschauern ausverkauftes Stadion, und entsprechend aufgepeitscht war die Stimmung. Nur die Fußballer beteiligten sich nicht an dem Projekt „spannende dritte Liga“. Dass der Schiedsrichter durch kleinliches Pfeifen und einige Fehlentscheidungen mit beitrug zu einem kaum unterhaltsamen Fußballnachmittag, kann da schon fast vernachlässigt werden. Letztlich fehlt dem VfL nur ein Sieg, um sich auf einem der ersten beiden Verheißung versprechenden Tabellenplätze wieder zu finden. Dort hat sich St. Pauli nun eingenistet – wenn auch nicht sonderlich komfortabel.