Marmor Stein und Eisen Brecht: Die letzte Frage des Bertolt Brecht
■ Ein Beitrag zum 100. Geburtstag
Zur Erinnerung an einen Spaziergang mit Wolfgang Kubin
Winter meint dunkelnde Kiefern
Schnee meint ein Licht
im herrenlosen Raum zwischen Morgen und Abend
Gedacht für einen Herrn in seinem Grab
Abgeschminkt aufs Gebein bist du noch mehr Dichter
Lebenslang Prolet, jenseits des Fensters ist die letzte Rolle
ausgespielt
das meint, sein eisiges Lächeln zu besichtigen
das Deckblatt aus Glas, innen ein Schneesturm
das Repertoire des Todes, die Speisekarte einer Stadt
Mach das Geläut zwischen zwei Enden zum Applaus
das zweifache Du einander zum Entwurf
Die Hand ist ein garstiger Vogel: ihre Fälschung eines fahlen
Himmels
meint, der Tote hat beizeiten erfaßt
das Epitaph vor der Klause: ein Zeichen für Kondolation
das Grün der Nadeln: zum Schluß angemietet
Mach das Feindliche, das Seiende
die perfekte Dämmerung zum Schöpfer deines Wahns
und frage: was ist, zwiefach gestorben, eitel Begehr der Nacht
Yang Lian, Dichter
Aus dem Chinesischen von Wolfgang Kubin
Der Spaziergang führte am 9. November 1993 in Berlin über den Friedhof an der Chausseestraße, wo auch Brechts Grab ist.
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