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Die heftigste Kritik kommt aus den eigenen Reihen

■ Bündnisgrüne hören Expertenmeinung zu ihrer Schulgesetz-Novelle: SchulleiterInnen freuen sich über Machtzuwachs, SchülerInnen ärgern sich über Elterneinfluß, Schulaufsicht beklagt "Verfall

Dirk Jordan war erstaunt. „Vertauschte Fronten“, konstatierte der bündnisgrüne Schulexperte, nachdem er sich die Ansichten der Betroffenen zu den Vorschlägen seiner Partei angehört hatte, Schulgesetz und Schulverfassungsgesetz zu ändern. Weniger Macht für die Schulaufsicht, mehr Autonomie für die Schulen und entsprechend mehr Befugnisse für den Schulleiter – das sind die Kernpunkte des Entwurfs. „Die vehementeste Kritik“, bilanzierte Jordan, „kam von Mitgliedern unser eigenen Partei.“

Jenseits von Parteibüchern waren die Reaktionen indes ziemlich berechenbar. Die LehrerInnen stießen sich vor allem daran, daß das Benennungsrecht für das Amt des Schulleiters von der Gesamtkonferenz der Lehrer auf die Schulkonferenz übergehen soll, die sich zu je einem Drittel aus Lehrern, Eltern und Schülern zusammensetzt. Knut Bialecki von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wie auch Heiner Sievert vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) tönten unisono, Eltern und Schüler seien gar nicht lange genug an der Schule. Sievert meinte gar, die Pädagogen seien einer Anstalt 40 Jahre lang verbunden, was Jordan indes „nicht hoffen“ wollte.

Daß Eltern und Schüler sie künftig ernennen sollen, war auch das größte Haar, das die SchulleiterInnen in der Suppe fanden. Ansonsten mundete sie ihnen ob des versprochenen Machtzuwachses bestens. Harald Kuhn begrüßte den Entwurf im Namen der Interessenvertretung Berliner SchulleiterInnen, weil er die Schulpolitik „auf Trab“ bringe. Er erkenne endlich ein eigenes Berufsbild „Schulleiter“ an und verabschiede sich von der Fiktion eines bloßen „Lehrers in besonderer Funktion“. Die erweiterten Kompetenzen der Schulkonferenz dürften aber ihn aber nicht zum „Büttel“ machen, der „lediglich Gremienentscheidungen ausführt“.

Heftigere Kritik kam von der LandesschülerInnenvertretung (LSV). Der Entwurf gehe zwar „in die richtige Richtung“, sei aber „zu lehrer- und schulleiterlastig“. An die Stelle der Gesamtkonferenz der LehrerInnen müsse die Schulkonferenz treten. Weil die SchülerInnen aber in der Sekundarstufe II „ihre Interessen selbst vertreten“ könnten, dürften die Eltern dort „nichts mehr zu sagen haben“. Neben den vier LehrerInnen sollten in den Gremien daher nur noch zwei ElternvertreterInnen, dafür aber sechs SchülerInnen sitzen, forderten die LSV-Vertreterinnen Debora Gärtner und Lena Foljanty. Unterstützt werden sie dabei auch von der Grünen Jugend Berlin. „Die Schule ist für die SchülerInnen da“, betonte deren Geschäftsführer Manuel Sahib.

Ganz anders sieht es die Schulaufsicht. Nach Ansicht des Landesvorsitzenden der Schulrätekonferenz, Gerhard Schmid, geht der Entwurf an den tatsächlichen Problemen vorbei. Reformbedürftig sei „nicht die Struktur, sondern die Moral“. Daß SchülerInnen Räume in der Schulverwaltung zur Streikorganisation nutzen konnten, sei ein „Verfall der Werte“. Ohnehin seien „die Vorausetzungen für Bildung wegen Mängeln in der familiären Sozialisation in Berlin nicht sehr günstig“. An Berlins Schulen seien „die Leistungsanforderungen zu gering“, nötig seien daher neben einem „moralischen Ruck“ auch „stärkere Abschlußprüfungen“. Die juristische Absolution ließen sich die Bündnisgrünen vom Frankfurter Staatsrechtler Hermann Avenarius erteilen. Da die Formulierungen „zum großen Teil wortgleich aus den Schulgesetzen von Brandenburg, Bremen und Hamburg übernommen“ seien, hätten sie den „verfassungsrechtlichen Härtetest schon bestanden“. Den SchülerInnen mehr Rechte einzuräumen, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Das Demokratieprinzip verlange, daß alle wesentlichen Entscheidungen von den Lehrern als demokratisch bestimmten Amtsträgern zu treffen seien. Andererseits müßten dem Staat Interventionsmöglichkeiten bleiben, um Chancengleichheit zu wahren.

Gleiche Chancen gebe es faktisch schon heute nicht mehr, meinte dagegen die bündnisgrüne Abgeordnete Sybille Volkholz. Die vorgesehene Finanzautonomie solle es auch Schulen ohne reichen Förderverein ermöglichen, durch Umschichtungen Gelder für eine bessere Ausstattung zu gewinnen. „Alle Probleme dieser Welt“, warnte sie aber, „kann der Entwurf nicht lösen.“ Ralph Bollmann

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