: Die härtesten DJ-Sets der Welt
Universal war nicht der Anfang: Das Cross Fade Enter Tainment-Label ist nach Berlin gezogen – zum Abschied gibts eine CD voll linkem Breakbeat-Kulturterrorismus ■ Von Lars Brinkmann
Den Umzug von Cross Fade Enter Tainment hat Hamburg vielleicht verdient, Berlin garantiert nicht. Bei Neuansiedlungen steht die Hauptstadt – laut Gregor Gysi – auf dem 65. Platz. Na ja. Eine unerträgliche, an Grausamkeit kaum zu überbietende Ironie des Schicksals wäre es nun aber, wenn die Hansestadt weiter der Gemischtwaren-Musik-Dependanz Universal Music Asyl gewähren müsste. Sollte die nämlich ihre 20 Mios an Berliner EU-Subventionen nicht bekommen, lässt sich Imperator Tim Renner einen Palast an der Reeperbahn 1 errichten.
Es gibt diese Momente, in denen weder Güte noch Gleichmut weiterhelfen, wenn Philosophie und jede Form der Liebe versagen... Vielleicht hilft dann ein wenig kultivierter Hass?! Weil der linke Kultur-Terrorismus in Hamburg vergeblich auf seine Neuerfindung wartet, machen uns die beiden Direktoren des Cross Fade Enter Tainment-Labels, Christoph De Babalon und Paul Snowden, mit der Mix-CD Three The Hard Way ein therapeutisch wertvolles Angebot. Mit Ausnahme von Sat 1 – Frazier – kann das kein Fernsehsender oder Unterhaltungsriese bieten: ein abendfüllendes Programm in kompakter Leichtbauweise, eine Rundumversorgung mit seelischer Komplettreinigung. Walt Disney, eat your heart out!
DJ Scud beginnt mit der klassischen Anrufung von Jah, legt aber mit seinem Sommerhit „Total Destruction“ sofort bösartig nach. Wie ein Parasit nährt sich sein Set von Reggae & Ragga, wobei verzerrte Breakbeats und Tonnen von Noise auf den ersten Schlag sämtliche Spiritualität vernichten. Eine verrottete Dancehall für Veitstänzer mit tot industrialisierten Dubs und der Folklore einer verlorenen Materialschlacht – verzweifelt aber auch morbid dekadent. DJ Scud alias Toby Reynolds steckt auch hinter Ambush, dem verdienten Londoner Label für Digital Hardcore ohne billige Posen. Anfang des Jahres fand sein Gastspiel im Hafenklang nach 20 Minuten ein jähes Ende, als einer der fast besinnungslos Begeisterten die Funktionsweise des Feuerlöschers entdeckte. Die Leute haben gekotzt vor Lachen – Scuds halbe Stunde auf Three The Hard Way kann mit 13 Ambush-Tracks zumindest mich etwas entschädigen.
Sein jüngerer Kollege aus Amerika, Bombardier alias Jason Snell legt noch mal einen drauf. Sein Beruf als Webdesigner sorgt offenkundig für genügend Leidensdruck, um sich nachts in eine Bes-tie zu verwandeln. Das Projekt Bombardier soll ihm einzig und allein dazu dienen, „Wut, Frustration und negative Emotionen zu kanalisieren“. Viele Menschen, die das ruhige Kerlchen mit der Rosentätowierung auf dem Fussknöchel kennen lernen, wollen zuerst gar nicht glauben, dass er für all den Lärm verantwortlich sein kann. Das scheint ihm aber besonders Spaß zu machen. Als ehemaliges Indie-Kid, das durch Delta 9 auf den Geschmack elektronischer Raserei gekommen ist, verfeinert Jason seine strammen Hochgeschwindigkeits-Attacken mit Punk Rock-Rüpelei, Hardcore-Emphase und Metal-Nonsens; dabei bringt er es auf 13 Tracks in 20 Minuten.
Das übertrifft N1tro mühelos mit 18 Tracks in 21 Minuten. Und auch sonst zeigt das Wunderkind aus Spandau, kaum volljährig, dass alle ausser ihm langweilige alte Säcke sind. Selten kreuzten sich Gegensätze flinker und wilder; schon in der Eröffnung treffen Ras-tas auf Philharmoniker und Frauenchöre, im weiteren Verlauf gesellen sich Bad Boys, Extrem-Demagogen und unverschämte Hip-Hop-Samples zum schroffen Grundrattern und -rauschen. Effektiver als DJ Scud folgt N1tro bei maximaler Verzerrung und Dichte einem eigenem Funk. Exemplarisch, fast übertrieben, spielt er den Trumpf dieser Musik aus: Eine abgründige Mehrschichtigkeit, aus der das Leben in einmaliger Gedrängtheit hervorbricht, nur um genauso schnell wieder abzutauchen. Alles scheint gleichzeitig zu passieren und erzeugt dabei eine Euphorie, die bei aller Destruktivität, negativer Utopie und kultiviertem Hass ansteckend betriebsam bis erheiternd wirken kann. Also zusammen: Härter! Schneller! Lauter!
DJ Scud, Bombardier, N1tro: Three The Hard Way, erschienen bei Cross Fade Enter Tainment/a-Musik, www.cfet.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen