: Die gemeinsame Sprache heißt Fußball
■ Der Bolzplatz im Donnerspark an der Elbe wird jeden Abend im Sommer zum internationalen Treffpunkt. Bosnier und Afghanen kicken gegen Syrer und Nigerianer
Die Sonne blendet, und Sofela kneift die Augen zusammen. Seine Konzentration gilt dem Ball. Denn: „Deshalb sind wir hier.“ An jedem regenfreien Sommerabend kommen Sofela und meist zwanzig „seiner Freunde“ in den Donnerspark unweit der Elbe, um zusammen Fußball zu spielen. „Es sind alles meine Freunde“, sagt der 33jährige ganz bewusst, „weil alle den Fußball lieben, so wie ich.“
Viele von ihnen wohnen auf den Flüchtlingsschiffen „Bibby Altona“ und „Bibby Challenge“, die noch bis vor kurzem von dem erhöht gelegenen Bolzplatz zu sehen waren. Nun liegen die schwimmenden Unterkünfte, die für rund 1200 Asylsuchenden das „Zuhause“ sind, nur wenige Meter weiter im Fischereihafen – versteckt hinter einem großen Backsteingebäude. Lange hatte man seitens der Stadt nach einem neuen Liegeplatz gesucht, da am Altonaer Hafenrand kultivierte Büro- und Wohngebäude geplant sind. Eine völlige Räumung der Schiffe kam jedoch nicht in Frage, weil diese als „Zentrale Erstaufnahmestelle“ für Flüchtlinge dienen und jedes Bundesland zu einer solchen Einrichtung gesetzlich verpflichtet ist.
„Es ist gut, dass wir hier nicht weg mussten“, sagt Sofela. Auch wenn er selber nicht auf einem der Schiffe, sondern in einer Unterbringung in Hamm wohnt, wäre es um die „familiäre Atmosphäre“ während der abendlichen Spiele „sehr schade“ gewesen. „Wir kommen alle sehr gerne hierher“, sagt er und strahlt dabei ein bisschen. Dementsprechend gut ist die Stimmung. Oft kicken zwei komplette Mannschaften der verschiedenen Nationalitäten miteinander. Mitspielen darf jeder.
An diesem Abend trifft eine aus Bosniern, Afghanen, Deutschen und Mauretaniern bestehende Auswahl auf eine türkisch-nigerianisch-surinamesische Elf. Manche haben Fußballschuhe und Trikots an, andere spielen barfuß und mit freiem Oberkörper. Jede Aktion wird in der jeweiligen Landessprache kommentiert, der Doppelpass funktioniert in Englisch und ein Schiedsrichter sorgt in kniffligen Situationen für einen geordneten Spielverlauf.
Die Stimmung am Spielfeldrand passt sich dem ausgelassenen Trubel an. Anfeuerungsrufe und -gesänge sind unter den Zuschauern beliebt und geben den Hobby-Fußballern oft das Gefühl, „gebraucht“ zu werden, beschreibt Makumbo, dem der weiße Lederball gehört. Auch der 23jährige Nigerianer – ein durchtrainierter 1-Meter-90-Hüne – hat einen Schlafplatz auf der „Bibby Altona“. Arbeit hat er hingegen keine. Oft ist der Park daher die einzige Anlaufstation und der Fußball sein einziger Zeitvertreib.
In seiner durch Kriege und Korruption zerütteten Heimat konnte er nicht mehr weiterleben. Das westafrikanische Nigeria leistet sich trotz existentieller Armut in weiten Teilen der Bevölkerung die größte Armee des schwarzen Kontinents. Unverständlich für Makumbo, der den Wehrdienst verweigerte und das Land aus Angst vor Konsequenzen verlassen musste.
Vor zwei Jahren kam er nach Hamburg und lernte schon bald Sofela kennen – bei einem Fußballspiel. Heute sind sie die besten Freunde. Auch Sofela – seit Anfang 1998 in Deutschland – hat mit seiner Familie in Nigeria gelebt, besitzt aber einen britischen Pass, da er in London geboren ist. Das hat ihm schon häufig die Arbeitssuche erleichtert. Sein Jersey mit dem Namen „Kokemüller“ auf dem Rücken zeugt noch von einer Beschäftigung als Packer bei der Bild-Zeitung. Das sei allerdings nicht der „richtige Job“ gewesen, um die deutsche Sprache zu lernen. „Meine schwarze Hautfarbe kann ich nicht ändern – Sprachkenntnisse aber kann ich mir aneignen.“ Sofela hat erkannt, dass „ich mich nur auf diese Weise im Alltag und in der Gesellschaft integrieren werde“.
Viele hätten ihm geraten, einem Fußballverein beizutreten. Dann würde die Sprachbarriere schon von alleine fallen. „Zunächst“, plant er, „werde ich aber Geld für einen Deutsch-Kurs sparen. Dann suche ich mir einen Klub.“
Erst wenn es dunkel wird und die Lichter im Hafen angehen, hören Sofela und seine Freunde auf zu spielen. „Bis morgen“, ruft einer. „Bis morgen“, antworten die anderen. Beim Fußball sprechen alle die gleiche Sprache. Oliver Lück
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