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Die freundliche Fremde

■ Der holländische Erfolgsautor Leon de Winter liest in Hamburg

Da kennen zwei Menschen sich ein Leben lang, wie Mutter und Sohn sich eben kennen, verbringen die Jahre im Ritual täglicher Telefonate, melden sich von Reisen, vergewissern sich des Daseins, des Weiterseins des anderen und wissen doch kaum etwas voneinander.

Leon de Winter, holländischer Erfolgsautor des Jahrgangs –54, hat in seinem Roman Serenade ein schlichtes Mutter-Sohn-Debakel aufgezeichnet, bei dem trotz aller Anwesenheit des anderen die Zurückhaltung, das Zurückgehaltene, die Schonung dazu führt, daß hier zwei freundliche Fremde sich unterhalten.

Der Erzähler Bennie ist ein von Werbe-Aufträgen gut lebender Komponist, der auch mal Größeres vorhatte, sich aber von einem Schlagerchen, das er geschrieben hatte, immerhin ein hübsches Haus nahe Amsterdam kaufen konnte. Zwischen Jingles und der distanzierten Freundin verläuft sein Leben ebenso glatt und nichtssagend wie das scheinbar tiefenlose Leben seiner Mutter Anneke. Die hat ihren Elan nach dem frühen Tod des Vaters längst wiedergefunden, ist witzig-forsch und verschwindet manchmal zu kleinen Ausflügen in Großstädte benachbarter Länder. Die Leichtigkeit des Seins scheint hier einfach die Leichtigkeit der Abwesenheit jeder Schwere zu sein, so als ob es in ihrem Leben keine dunklen Momente, keine Verluste, kein Drama gegeben hätte. Der Schein trügt: Die gute Anneke hat nur ganz gründlich verschwiegen.

Als bei der 75jährigen ein Karzinom festgestellt wird und der Sohn der Mutter – aus Fürsorge – den Befund verheimlicht, könnte alles bis zum baldigen Tod so unbeschwert weitergehen. Aus den Fugen gerät die Welt zwischen den kleinen Häusern und großen Sicherheiten der Vorstadt, als Anneke plötzlich verschwindet.

Leon de Winter, hier vielleicht – eine In-memoriam-Widmung deutet es an – über die eigene Mutter schreibend, ist ein Meister im Hinhauchen leichter, schöner Menschenporträts. Ganz dem Lebensgrundsatz seiner Figuren folgend, bleibt auch er an ihrer Oberfläche, stellt sie mit ihrem Alltag vor uns hin, läßt sie plappern – und erzeugt mit diesem Vorgehen manchmal Anrührendes. Dabei ist auffällig, wie sehr Winter, der auch als Filmemacher arbeitete, es vermeidet, Atmosphäre aufzubauen: Er stellt seine Figuren fast durchweg in hellen, leeren Raum. Nicht einmal eine grandiose Kulissenstadt wie das kriegsrandständige Split wird ihm – trotz aller Details und geographischen Beschreibungen – lebendig.

Für seine Serenade hat de Winter eine schöne, kleine Melodie geschaffen, ein Stück Abendmusik ohne Schnörkel, ohne Ausschmückungen. Die großen geschichtlichen Traumata, die übergroßen Dramen, das Unaussprechliche, das er sich als Motor seiner kleinen Melodie wählte, kann er allerdings ebensowenig greifbar machen, wie seine Figuren es sich selbst verständlich machen können. Ist es vielleicht Bescheidenheit, wenn der Autor nicht weiter ist als die, über die er schreibt. Oder einfach die Solidarität eines Sohnes?

Thomas Plaichinger

Hellmuth Karasek stellt Leon de Winter heute um 19.30 Uhr bei Weiland, Wandsbeker Quarree, vor.

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