: Die drei von der Eso-Tankstelle
■ Führen Ganzheitspartys zur Seligkeit auf Erden?
Das Jahrtausend geht zu Ende, Gewißheiten weichen der Differenz, haltlos wabert das Individuum im sinnentleerten Raum – da ist Sehnsucht nach ganz viel Ganzheit leicht zu motivieren. Gnadenloser Andrang deshalb am Mittwoch in der Gnadenkirche, denn angekündigt war eine Präsentation altorientalischer Musikheiltherapie.
Die dies vorführende Combo erschien allerdings eher funktional differenziert. Der Musiktherapeut und „Meister verschiedener Sufi-Orden“, Dr. R. Oruc Güvenc aus Istanbul, übernahm die Rolle des weise-humorigen Vorturners. Ihm zur Seite durfte Kadir G. Tucek des Meisters Worte ins Österreichische übersetzen, und Karin Holtzwarth himmelte denselben mit seligem Lächeln an. Die drei von der Eso-Tankstelle – Party on. Der erste Show-Teil brachte zwölf Folk-Hits, intoniert über diverse traditionelle Instrumente. Das klang durchaus angenehm, Unterschiede zu „normaler“ Folklore zeigten sich aber nicht direkt und Stimmungskanone Güvenc animierte das Publikum, mit ihm ein zünftiges „Hollaitahollaitahollaitahoi“ anzustimmen. Immerhin gut, daß den Andächtigen die Texte erläutert wurden, etwa „Mein Kind, schlaf jetzt gut, damit du später ein guter Wissenschaftler wirst“.
Die anwesenden Alt-Öks und Ganzheitsfreunde ließen sich nur zu gern treiben. Meditativ-inspiriert wurden dann eins mit der Musik werdende Körper geschaukelt, selig-vereinheitlicht mit dem Partner Händchen gehalten oder zärtlich der mitgebrachte Säugling gewiegt. Schade nur, daß das Ganze wenig mehr als ein Folklore-Event mit metaphysisch-kommerziellem Anstrich war: Folklore-Käppchen, -CDs, -Bücher etc. wurden massig losgeschlagen – hat ja „alles einen heiligen Kern“.
Auf derbe Derwische wartete man übrigens vergebens, lediglich ein artiger Drehtanz wurde zum besten gegeben, für den Karin noch ein bißchen üben muß. Dafür durfte der Autor nach der Pause Zeuge eines echten musikheiltechnischen Wunders werden: Oberschamane Güvenc kündigte einen Heil-Song an, der „auf die Beine wirkt und Freude vermittelt“. Und tatsächlich: Die Beine bewegten sich freudig gen Ausgang ins Außeresoterische. Christian Schuldt
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