■ Die deutsche Linke und der Friedensschluß in Nahost: Wenn der Kopfschmerz weg ist...
Alle Menschen, die bisweilen an hartnäckigen, andauernden Kopfschmerzen leiden, kennen das eigentümliche Gefühl, daß in dem Augenblick, da Druck und Bohren im Schädel aufgehört haben, etwas, an das man sich gewöhnt hat, fehlt. Kaum anders verhalten sich manche Kommentatoren des Friedensschlusses zwischen Israel und der PLO. Wo die unmittelbar Beteiligten einen bei heiklen Erfolgen stets angemessenen Zweckpessimismus an den Tag legen, kann man sich bei manchen deutschen Bedenkenträgern des Eindrucks nicht erwehren, daß ihnen etwas abhanden gekommen sei.
Tatsächlich jedoch verabschiedet sich mit Friedensschluß und Autonomieabkommen der Nahostkonflikt sozusagen aus dem hiesigen politischen Leben. Mögen auch in Zukunft ein ehemaliger Wirtschaftsminister deutsch-arabische Freundschaft predigen und dabei Export meinen oder deutsche Protestantinnen im Rahmen des Weltgebetsstages palästinensische Frauen mit Jesus identifizieren – reale Belange Israels oder der Palästinenser sind damit kaum berührt.
Der Krieg ist vorbei, und die Kampfgenossen sind überflüssig geworden. Höchste Zeit, daß die deutsche Linke, ihre Reste und Überbleibsel jetzt ebenfalls Frieden schließt – mit ihrem Bewußtsein, das, was den Nahostkonflikt angeht, einem immerwährenden Schlachtfeld gleicht. Wir erinnern uns:
Juni 1967, während des Sechstagekrieges: Anläßlich des Umstandes, daß die rechtspopulistische Springerpresse Israels General Dayan als zweiten Rommel feierte, verlagerte eine bis dahin überwiegend proisraelisch eingestellte studentische Jugend, die gegen die CDU-Regierungen stets die Anerkennung Israels eingeklagt hatte, ihre Sympathien auf die Palästinenser. Die wider ihre vormals dem Nationalsozialismus hörigen Eltern aufbegehrenden Studenten kündigten den im sozialistischen Israel Überlebenden des nationalsozialistischen Massenmordes die Solidarität auf.
Ein Amalgam aus vulgärem Antiimperialismus und christlicher Ideologie, daß die Juden sich durch das im Holocaust erfahrene Leiden zur Gewaltlosigkeit läutern sollten, führte zur Identifikation mit den Palästinensern, denen dieser Läuterungsprozeß nie abverlangt wurde. Die „Opfer der Opfer“ wurden erfunden. Ihnen galt das Engagement jener, die gegen die ihrem Glauben nach faschistische Bundesrepublik den bewaffneten Kampf aufnahmen. Noch die tödlichen Schüsse von Bad Kleinen weisen in die siebziger Jahre zurück, als die Vordenker des bewaffneten Kampfes ihr Handwerk erlernten. 1970 nahmen Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Horst Mahler in einem Fatah- Lager nahe Amman ihre militärische Ausbildung auf.
Die derartig kraß zum Ausdruck kommende Feindschaft gegen den jüdischen Staat war keineswegs ein Privileg der RAF, sondern damals Common sense unter fast allen Linken.
1975 schrieben etwa die beiden Berliner Theoretiker Eike Geisel und Mario Offenberg – die sich inzwischen große Verdienste um die Bewahrung jüdischer Kultur und im Kampf gegen den Antisemitismus erworben haben – in der Einleitung zum Buch eines jüdischen Zionismuskritikers: „Noch in der Trennung in jüdischen und nichtjüdischen Antizionismus, letzterer wird demagogisch gleichgesetzt mit Antisemitismus, versucht die zionistische Ideologie ihrer rassistischen Doktrin zur Geltung zu verhelfen.“
Daß der eine Autor ein israelischer Jude, der andere ein Deutscher war, zeigt, daß es damals eine kleine, aber in den einschlägigen Debatten gewichtige jüdische Linke gab, die mehr oder minder differenziert den weitverbreiteten Antizionismus mittrug und ehrbar machte.
Dabei ist Selbstgerechtigkeit nicht angebracht. Auch der Verfasser dieser Zeilen sah sich 1982 bemüßigt, der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß ihn das von libanesischen Milizen begangene Massaker an palästinensischen Flüchtlingen in Sabra und Schatila an den von Ukrainern exekutierten Judenmord in Babi Jar erinnerte.
1976 enterte eine Gruppe westdeutscher Terroristen im Auftrag der PFLP des George Habbasch, die jetzt zu den erbittertsten Gegnern des Friedenschlusses gehört, eine Air-France-Maschine und sonderte nach Landung im von Idi Amin beherrschten Uganda nichtjüdische von jüdischen Passagieren, um diese gegen von Israel gefangene Palästinenser auszutauschen. Vielleicht läßt sich eine psychologische Erklärung dafür finden, daß junge Deutsche in Delegation ihrer Eltern die Rampe von Auschwitz nachstellten. Unbegreiflich bleibt bis heute, wie sich die Entführer von Entebbe, deren politisches Credo dem libertären Anarchismus Spaniens galt, dem Diktat einer nationalistischen panarabischen Gruppe unterwerfen konnten.
Nach dem Libanonkrieg 1982 zerbrach die antizionistische Allianz zwischen jüdischer und deutscher Linker. Die Meinung der angesehenen sozialdemokratischen, in der Solidaritätsarbeit mit Südafrika aktiven Bundestagsabgeordneten Lenelotte von Bothmer, daß die Palästinenser ebenso von den Israeli ermordet würden wie seinerzeit die Juden von den Deutschen und deshalb die „Wiedergutmachungszahlungen“ an Israel eingestellt werden sollten, war nicht untypisch. Was auf 1982 folgte, etwa die Irrungen und Wirrungen unterschiedlicher Delegationen der Grünen in den Nahen Osten, taugt bestenfalls für politische Satire.
Die Friedensbewegung von 1991 hingegen, die den überlebenden Holocaustopfern in Tel Aviv Abwehrraketen verweigerte, Saddam Hussein gewähren lassen wollte und in Gestalt des Friedensforschers Ekkehart Krippendorff den von der SS deportierten polnischen Juden nachträglich den Sitzstreik anempfahl, muß jetzt zur Kenntnis nehmen, daß eine andauernde Besetzung Kuwaits durch Irak weder einen Regierungswechsel in Israel ermöglicht noch Jassir Arafat zum Einlenken gebracht hätte. Das Embargo? Es wäre ebenso erfolgreich gewesen wie der Boykott Serbiens!
Die Behauptung, daß sich im Nachkriegsdeutschland nicht objektiv und distanziert über den Nahostkonflikt debattieren lasse, wurde vielfach bestritten. Im Lichte des jetzt geschlossenen Friedens erscheinen die genannten Ereignisse nicht mehr als gefährliche, judenfeindliche Haltungen, sondern als Ausdruck nur noch verrückt zu nennender, bizarrer Gedankengebilde, die keiner Widerlegung, sondern der Therapie bedürfen.
Mit dem Friedensschluß zwischen Israel und der PLO wird ein kollektiver Verdrängungsmechanismus außer Kraft gesetzt und ein Kapitel deutscher (Un)Bewußtseinsgeschichte geschlossen. Bald fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist man in Deutschland mit der Erinnerung an die ermordeten Juden allein. Ein Festklammern an den jetzt beendeten Nahostkonflikt ist da beinahe verständlich. Micha Brumlik
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