: „Die anderen leben auch noch“
■ Beratungsangebot für „Verwaiste Eltern“ beim Kinderschutzbund
„Die Pakete Taschentücher müssen jetzt nicht mehr auf dem Tisch liegen“, berichtet eine Frau. Vor drei Jahren haben sie und ihr Partner ihr Kind verloren. Damals suchten beide Hilfe und Trost und wandten sich an die „Beratungsstelle für Verwaiste Eltern“ beim Bremer Kinderschutzbund. Heute können die Eltern auch vor Fremden über den Tod ihres Kindes sprechen. Eine andere „verwaiste“ Mutter erzählt: „Das wichtigste war für mich, zu sehen, daß man normal ist. Ich kam dahin und sah: Hier sitzt eine Frau, die zwei Monate früher ihr Kind verloren hat, und sie lebt immer noch.“
Für Familien, die ein Baby verloren haben, gibt es in Bremen seit 1993 eine angeleitete Selbsthilfegruppe. Ende letzten Jahres ist diese als die „Beratungsstelle für Verwaiste Eltern“ zum Kinderschutzbund umgezogen und dort eine feste Einrichtung geworden. 20.000 Kinder sterben in Deutschland jährlich durch Totgeburt, plötzlichen Säuglingstod, Krankheiten, Suizid, Verbrechen und im Verkehr. Sie lassen die Hinterbliebenen sozusagen als „Verwaiste“ zurück. „Mit diesem frühen Verlust passiert das Schlimmste, was Eltern überhaupt passieren kann, und sie haben keine Zeit, sich langsam darauf vorzubereiten.“ Sabine Weissinger-Tholen leitet die Beratungsstelle beim Kinderschutzbund und hat von vielen der betroffenen Eltern gehört, daß sie das Gefühl haben, in ihrer Umgebung ihren Schmerz nicht zeigen zu dürfen. „Es hilft, auch bei den anderen die Tränen kullern zu sehen“, sagt eine Frau.
Die Beratungsstelle für verwaiste Eltern ist bislang jedoch nur als ABM-Stelle auf ein Jahr finanziert. Sabine Weissinger-Tholen hofft jedoch, sich über einen Verein und „Social Sponsoring“ weiter finanzieren zu können. Mögliche Sponsoren, wie Krankenkassen und Kirchen, haben aber bereits abgesagt.
Die Beraterin möchte trotzdem weitere Kontakte knüpfen, zum Klinikpersonal etwa und zu anderen, die in dem ersten, vielleicht schwersten Moment die Eltern unterstützen sollten. Daß aber gerade hier das Thema oft noch tabuisiert wird, bestätigen auch die betroffenen Frauen: „Mich hat die Ärztin gefragt, ob ich das Kind überhaupt wollte,“ – die Frau hatte gerade eine Totgeburt hinter sich. „Du kannst ja noch ein Kind bekommen,“ gehöre auch zu den Sätzen, welche die „verwaisten“ Mütter sich oft anhören müßten. Doch „kein Kind ist zu ersetzen“, betonen die Frauen. Eigentlich wollte zu dem Pressetermin in der Beratungsstelle noch ein Mann kommen, um über den Tod seines älteren Kindes zu reden – er ist nicht erschienen. Angela Jain
Telefonische Beratung für „verwaiste Eltern“ Dienstag bis Freitag, 11 bis 13 Uhr, bitte auch aufs Band sprechen!
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