: Die Zwangsscheidung des Kairoer Linguisten Abu Zaid aus religiösen Gründen sorgt in Ägypten bis heute für Kontroversen. Die taz sprach als erste westliche Zeitung mit der Romanistin Ibtihal Yunis, der Frau von Abu Zaid Aus Kairo Karim El-Gawhary
Das Schauspiel wird fortgesetzt
Die Zwangsscheidung eines Professorenpaares per Gericht – kurz darauf der Mordanschlag auf den Präsidenten: Die Fronten zwischen Säkularisten und Islamisten in Ägypten verschärfen sich.
Das Urteil eines kleinen Familiengerichts in Kairo vom 14. Juni rüttelte in der Tat an den Grundlagen des säkularen Rechtssystems im Lande: Die radikalen Islamisten feierten einen kleinen Sieg. Ihre Anwälte waren es, die gegen den Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Zaid Klage erhoben hatten – seine Koranauslegung sei unislamisch, der Professor ein vom Islam Abtrünniger. Seine Frau, Ibtihal Yunis, dürfe als Muslimin nicht länger mit ihm verheiratet bleiben.
Nun ist eine solche Klage in Ägypten inzwischen nichts besonderes mehr. Seit Anwar El Sadat die Islamisten in den siebziger Jahren einzubinden versuchte, existiert in Ägypten ein paralleles Rechtssystem. Sadat setzte den neuen Artikel2 der ägyptischen Verfassung durch: „Die Prinzipien des islamischen Rechts sind die Grundlage der ägyptischen Gesetzgebung.“ Das Urteil zeigt die Konsequenzen des Artikels. Zum ersten Mal ordnete ein Gericht eine Zwangsscheidung mit religöser Begründung an.
Dementsprechend empört war das Echo im Lande unter den säkularistischen Intellektuellen. In Sonderausgaben, wie etwa im Falle der ägyptischen linken Wochenzeitung al-Ahali, oder in Kommentaren machten sie ihrem Ärger Luft, plädierten für Meinungsfreiheit und ein säkulares Rechtssystem. Führende liberale Intellektuelle solidarisierten sich in Artikeln und offenen Briefen mit dem zwangsgeschiedenen Paar.
Die Analyse war meist die gleiche: Die politische Kultur Äyptens sei auf dem steilen Weg in den Abgrund. „Wir gehen nicht rückwärts, denn früher wurden derartige Dinge ziviler geregelt. Wir gehen zurück an das hinterste Ende“, erklärte etwa der Redakteur der ägyptischen Kulturzeitschrift al- Qahira, Chali Schukri. Am letzten Samstag forderten Hunderte von Intellektuellen bei einer Solidaritätsveranstaltung die Regierung auf, das Urteil aufzuheben.
Auch unter den Islamisten hat das Urteil gespaltene Reaktionen hervorgerufen. Seit der Anerkennung durch Sadat zerfällt die religiöse Bewegung in unterschiedliche Lager: Da sind einmal die militanten Islamisten aus Organisationen wie „Djihad“ und „Gamaat al- Islamiye“, die Sadats Annäherung scheuten und nach wie vor Gewalt befürworten und verüben. Für sie ist Abu Zaid ein Todeskandidat. Unter den Nicht-Militanten gibt es Streit darüber, wie der islamische Staat zu erreichen sei. Die Falken unter ihnen waren es, die das Urteil gegen Abu Zaid durchsetzten; zu ihnen gehören viele Anwälte, Professoren, Ärzte. Die Tauben lehnen das Urteil ab.
Sogar vielen moderaten Islamisten sind die selbsternannten islamistischen Inquisitoren ein Dorn im Auge. Es ist ihnen zu einfach, die Welt in haram und halal – „erlaubt“ und „verboten“ – aufzuteilen. So mancher prominente islamistische Intellektuelle lehnt das Urteil aus prinzipiellen Gründen ab. „Pluralismus ist im Islam nicht nur eine politische Option, sondern die Grundlage der Überlieferungen Gottes“, schreibt etwa der islamistische Vordenker Muhammad Emara in der islamistischen Wochenzeitung asch-Schaab. Die Islamisten seien die ersten Verlierer bei einer Beschneidung der Meinungsfreiheit. Emara spricht sich gegen die Konfiszierung von Abu Zaids Büchern aus, da „der Islam immer Argumente gefordert hat“. Aus der Zeit des Propheten sei keine Geschichte überliefert, in der eine Strafe gegen einen Kritiker ausgesprochen wurde.
An Abu Zaids Arbeitsplatz, der Kairoer Universität, hat sich inzwischen auch ein „Komitee der Mitarbeiter der Universität zur Verteidigung Abu Zaids“ gegründet. Dem Komitee soll auch eine Anzahl prominenter islamistischer Professoren angehören.
Andere Islamisten begrüßen das Urteil. Eine Gruppe konservativer Gelehrter der islamischen Azhar-Universität sprach dem Gericht seine volle Unterstützung zu und forderte Abu Zaid auf, von seinen Meinungen abzulassen, damit sein Blut nicht vergossen werde. Scheich Jussef al-Badri, einer der Autoren der Anklageschrift gegen Abu Zaid, bleibt ebenfalls weiter auf seiner harten Linie. „Muslime sind frei zu denken und zu glauben, was sie wollen, aber in dem Moment, in dem sie mit diskriminierenden Gedanken an die Öffentlichkeit gehen, verlieren sie diese Freiheiten. Damit üben sie nicht mehr nur ihre Freiheiten aus, sondern schränken die Rechte der größeren Gesellschaft ein.“
Das traurige Schauspiel wird fortgesetzt. Abu Zaid wird noch auf Monate die Gemüter erhitzen, und selbst wenn das Urteil in wenigen Monaten wieder aufgehoben werden sollte, findet sich mit Sicherheit ein neues Opfer.
Eine Aufhebung des Urteils bedeutet für Abu Zaid und Ibtihal Yunis im übrigen kein Ende der Gefahr: Abu Zaid steht nach wie vor auf der Todesliste der militanten Islamisten, das gleiche gilt indirekt auch für seine Frau. Abu Zaid überlegt derzeit, eine Gastdozentur anzunehmen und für einige Zeit nach Europa zu gehen.
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