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Die Zukunft der Arbeit heißt Teilzeit

Die Bundesregierung startet eine Offensive für Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst / Gewerkschaften fordern Rückkehrrecht zur Vollzeit und befürchten Karriereknick für Teilzeitler  ■ Von Silvia Schütt

Berlin (taz) – Mit einem beherzten Sprung hat sich die Bundesregierung an die Spitze der Teilzeit- Bewegung gesetzt. Alle freien Stellen bei Bundesbehörden sollen fortan auch als Teilzeitstellen ausgeschrieben werden, verkündete Frauenministerin Angela Merkel einen Kabinettsbeschluß, der Signalwirkung haben soll. Auch real existierende BeamtInnen sind davon betroffen: Sie können künftig auf einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit bestehen. Eine entsprechende Regelung für öffentliche Angestellte und ArbeiterInnen wird voraussichtlich folgen.

Kaum war die Absichtserklärung veröffentlicht, zog das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) mit der Verkündung eigener Zahlen und Thesen nach. Der öffentliche Dienst hinke bei der Einführung von Teilzeitarbeit deutlich hinter der Wirtschaft her, beklagten die ÖkonomInnen vom Rhein. Würde der größte bundesdeutsche Arbeitgeber sich aber ein Beispiel an den privaten Dienstleistern nehmen, könnten etwa 300.000 Teilzeitstellen geschaffen werden. Fazit: Das Beschäftigungspotential ist beachtlich.

Spätestens an diesem Punkt fühlte sich wiederum die Gewerkschaft ÖTV herausgefordert. Der öffentliche Dienst sei, mit Ausnahme der neuen Bundesländer, schon jetzt ein Vorreiter bei dem Arbeitsplatzsplitting, hielt ÖTV- Sprecher Rainer Hillgärtner dagegen. Trotzdem sei der Teilzeitanteil noch zu erhöhen, weswegen die ÖTV mit einer Teilzeitoffensive in die laufenden Tarifverhandlungen geht.

Das Hin und Her zwischen den Kontrahenten entpuppt sich jedoch bei näherem Hinsehen als gegenstandslos. Ein Fünftel der Stellen bei Bund, Ländern und Kommunen sind laut ÖTV bereits jetzt Teilzeitstellen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums beziffert die Zahl der Teilzeitstellen im öffentlichen Dienst auf etwas bescheidenere 16,3 Prozent. In der freien Wirtschaft liegt der Anteil weit darunter. Doch verweist der Arbeitsmarktexperte bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Robert Reichling, darauf, daß man hier zwischen Dienstleistern und Industrie unterscheiden müsse. Im ersten Bereich liegt der Teilzeitanteil – wie auch beim Dienstleistungsgiganten öffentlicher Dienst – bei etwa 20 Prozent. Die Industrie hinkt mit sieben Prozentpunkten hinterher, sei aber auch für die Aufsplittung der Arbeitszeit weniger geeignet.

Interessanter als Zahlenspiel und Schuldzuweisung ist jedoch das Kleingedruckte der Merkelschen Teilzeitofferte. Soweit sie überhaupt feststehen, sind die Konditionen weit von dem entfernt, was sich etwa die ÖTV für ihre Klientel vorstellt. Ein Beispiel: Einen Rechtsanspruch auf Teilzeit gesteht der Bund seinen Bediensteten zu, eine einklagbare Option auf spätere Rückkehr zur Vollzeit jedoch nicht. Wer also nur vorübergehend kürzer treten will, läßt sich auf ein Vabanquespiel ein. Die ÖTV fordert dagegen, daß solchen ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit zur Rückkehr garantiert wird.

Ferner formulierte Frauenministerin Merkel, daß Teilzeitarbeit nicht zu einem Karriereknick führen dürfe. Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber VollzeitlerInnen sei nur zulässig, „wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen“. Darüber hinaus müßten auch Führungspositionen in der Teilzeitvariante angeboten werden. Doch damit könnte es schwierig werden, wie die Sprecherin des Frauenministeriums Gertrud Sahler einräumt: „Einen Abteilungsleiter oder Unterabteilungsleiter in Teilzeit kann ich mir nicht so recht vorstellen“, sagte sie mit Blick auf ihr Ministerium. Und gegen Benachteiligung könne letztlich nur eine „behördeninterne Bewußtseinsänderung“ helfen.

Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung warnt indessen die ArbeitnehmerInnen davor, in eine Falle zu tappen. Mit Teilzeit ließen sich zwar Stellen schaffen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, die Karriere können deren InhaberInnen aber meist abschreiben. Außerdem bedeute eine kürzere Arbeitszeit geringeren Verdienst und dadurch auch Einbußen bei Rente und Arbeitslosengeld. Ein Gesetz soll den Schritt von Voll- zur Teilzeit bald mit einen Bestandsschutz beim Arbeitlosengeld für drei Jahre versüßen. Doch eine entsprechende Vorlage ist noch in Arbeit. Bei der Rente hilft dagegen nur der Gang zum privaten Versicherer.

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