: Die Zigarette danach
Böser Trash, abgespeckt: „Selected Photographs“ von Richard Prince im Kunstverein Düsseldorf ■ Von Jochen Becker
Die Aneignung des Allgemeinbildgutes war eine gängige Strategie der Post-Pop-Generation amerikanischer Künstler. Während Sherrie Levine sich der Hochkultur annimmt und von Matisse bis Malewitsch Meisterwerke recycled, betreibt Richard Prince eine Appropriation der Subkulturen. Er verbraucht für seine Fotoarbeiten den volkskundlichen Bilderschatz der Illustrierten, die er meist angeschnitten, schräg von der Seite oder auch unscharf abknipst. Farbverfremdungen durch Fehlbelichtungen, grobes Raster oder die Reproduktion schwarzweißer Bilder mit einem Colorfilm laugen die Fotos weiter aus. Seine „öffentlichen Bilder“ faßt Prince oftmals zu Serien zusammen, die wie schlampig entwickelte Kontaktbögen aus dem Fotolabor erscheinen. Die mehrmalige Reproduktion bis hin zur Katalogabbildung, die wiederum in einer Kunstzeitschrift abgedruckt wird, zerreibt die Quellenlage zu grobem Korn.
Zumindest die Kunstrezensenten mutmaßen bei der affirmativen Aneignung von Werbeklischees einen kritschen Impuls. Doch worin liegt eigentlich der Unterschied von Prince-Bildern zur Werbung, und wo unterscheidet sich ihre „Kritik“ von der professionell betriebenen Analyse?
„A timeless land./ Where horses/ still run free./ Where some men do/ what others/ only dream about“, formuliert der Mischkonzern Philip Morris seine Werbelyrik vom nichtentfremdeten Mann, die zur Zeit auf Plakaten und Magazinrückseiten zirkuliert. Während die wenige Jahre früher entstandenen Arbeiten von Richard Prince die Bilder um den Schriftzug beschnitten hatten, hat die pure Typografie den Anachronismus „Cowboy“, dem sie ein Loblied singt, aus den Anzeigen des Konzerns verbannt. Mit dem fortgesetzten Einsatz der abstrahierten Bild-Beschreibung kann selbst auf die Signatur „Marlboro“ verzichtet werden.
Die Heldensaga vom „Geistigen Amerika“ erzählt von berittenen Eroberern, die den Wilden Westen genauso an sich reißen wie die entblößte Kind- Natur: wo „einige Männer tun, wovon andere nur träumen“. Denn bekanntlch sind Indianer und Frauen, Land und Beute Freiwild: naturbelassen, kostenfrei und geschichtslos („a timeless land“). Lassoschwingende Kuhhirten oder die nymphomanische Brooke Shields als dem Dampfbade entsteigendes Pretty Baby versprechen das verlorene Paradies auf Erden. Doch die gesetzlich verankerte EG-Gesundheitsminister- Warnung als Fußnote der Werbung, die man bei den Prince-Repros unwillkürlich mitdenkt, oder die geschminkten Augen und geübte Pose der Venus-Darstellerin erinnern an ihren Warencharakter: Die mittels Sexfotos und Ausritten angefeuerten Männerphantasien sollen gefälligst durch Zigarettenrauch oder Kinobesuch kompensiert werden. Das werbliche Vorspiel mündet direkt in die Zigarette danach.
Womit wir wieder bei Richard Prince wären. Der die Lunten an den mythischen Bilderschatz legen will, indem er sowohl der falschen Jungfrau einen Tabernakel bauen ließ als auch den Marlboro-Mann bis zur Grobkörnigkeit heraufvergrößerte. Richard Prince zeigt in Düsseldorf vom dreckigen Kapitalismus die polierte Fassade: Brooke Shields' geölter Körper, den ihre Mutter an den Werbefotografen Gary Gross verkaufte, glänzt so prächtig wie die anmutigen Bronzeplastiken am Beckenrand. Der mit Stonewashed-Jeans und frischgestärktem Karohemde gutverkleidete Cowboy-Darsteller beutete sich wenigstens selbst aus, bis die Zigaretten des Geldgebers seine beiden Krebslungen zerfraßen.
Letzteres lese ich natürlich in die Bilder hinein. Die eigentliche Arbeit wiederholt nur die Lüge; erst ihr Umfeld ermöglicht ihre Lektüre als Kritik.
Die eigenartig mißmutige und marginal wirkende Düsseldorfer Auswahl – vor der Übernahme aus dem Whitney Museum umfaßte die Schau „Selected Photographs“ noch knapp hundert Objekte – wird dem New Yorker Katalog nicht annähernd gerecht. Außer Kids und Cowboys präsentierte der scheidende Direktor des Kunstvereins nur noch eine zwölfteilige Gruppe von Entertainers, deren warholesk colorierte Fratzen auf schwarze Votivbretter aufgezogen sind, und eine Serie puppentheaterhafter Silhouetten vor sonnenuntergangsorangenem Hintergrund. Die schludrige Präsentation blendet den bösen Trash von Prince – seine Volkskunst aus Witzbildern und Motorhauben, die Schnappschüsse tätowierter Rockerbräute, entblößter Fetteln und aufgemotzter Maschinen – einfach aus.
Bis zum 28. Februar in Düsseldorf im „Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen“, danach von Oktober bis November in Rotterdam. Der üppig bestückte Katalog zur Ausstellung, bestehend aus einem Bildband und einem Textheft, kostet 48 Mark.
Die 34. Ausgabe der Zeitschrift „Parkett“ ist, neben Ilja Kabakov, Richard Prince gewidmet und kostet glatte 30 Mark.
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