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Archiv-Artikel

HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER Die Zeitmaschine

Eine Zeitmaschine mit einer physikalischen Bagger-Funktion muss ganz einfach die Krallen ausgefahren haben, die Off-Kunstgewaber-Orte von vor zehn Jahren mitsamt den damals jungen Leuten, die sich in ihnen aufhielten, erwischt haben. Muss sich gegen den Hafen gedreht haben und sie dort kürzlich – szenisch durchaus geschickt neben Pudel und Hafenklang platziert – in schicken Räumlichkeiten abgesetzt haben.

Der Barmann hat eine Brille wie Barton Fink und ist der einzige, der hier lächelt. Freuten wir uns eben noch ob des überdurchschnittlich hohen Publikumsalters, suchen uns nun Gesichter von Menschen heim, die damals rauchten und heute rauchen. Die damals ungewöhnliche Kleider kombinierten, als würden sie dafür bezahlt, und es heute noch tun. Unmerklich älter sind sie geworden. Die Anzüge der Männer sind um den Bauch herum ein wenig voller. Die Gesichter der Frauen ein wenig strenger.

Im Barkeller muss bis vor kurzem etwas los gewesen sein. Es tanzen noch immer zwei androgyne Asiaten in jamaikanisch-knappen Faschingskostümen zu Elektromusik. Männer stehen um sie herum und rauchen, gucken gleichsam verhalten-interessiert und in seltenen selbstvergessenen Momenten amüsiert: auf das zuckende weiblich gekleidete asiatische Fleisch.

Eine Verlängerung der Reeperbahn. Auf künstlerisch. Natürlich nur auf den ersten Blick. Der natürlich trügt. Kunst ist diese Performance. Kunst war das schon damals, Kunst ist das auch heute, umjubelt von dem gelangweilten Rauch von Zigaretten. Die Zeitmaschine reibt sich schmunzelt die Baggerkrallen.