: „Die Zeit des Redens ist vorbei“
„Standing ovations“ für IG-Metall-Chef Steinkühler nach kämpferischer Rede zur Urabstimmung in der Metallindustrie/ Arbeitgeber „wollen die politische Konfrontation und den Streik“ ■ Aus Duisburg Walter Jakobs
1987, auf dem Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen, verfinsterten sich die Mienen der Duisburger Stahlkocher regelmäßig, wenn die Rede auf Franz Steinkühler und die Frankfurter IG-Metall-Zentrale kam. Die Rheinhausener Stahlarbeiter fühlten sich nicht ausreichend unterstützt. Gestern, bei der ersten großen Konferenz der Stahlarbeiter zur Vorbereitung der am Sonnatg um null Uhr beginnenden Urabstimmung, war alles ganz anders. Der Beifall der etwa 4.000 Betriebsräte und Vertrauensleute in der Duisburger Rhein-Ruhr-Halle wollte nicht enden, als Franz Steinkühler das Rednerpult verließ. „Standing ovations“ gab es für den IG-Metall- Chef, der den Arbeitgebern zuvor vorgeworfen hatte, sie wollten „die politische Konfrontation“ und seien „scharf auf den Streik“.
Wörtlich sagte der IGM-Chef: „Laßt all die Hoffnungen auf eine Lösung in letzter Minute fahren, es liegt nicht daran, daß die Arbeitgeber nicht einsichtsfähig sind, sondern sie wollen die politische Nagelprobe jetzt.“ Zu der Verschärfung beigetragen haben für Steinkühler auch Politiker wie Graf Lambsdorff, der gesagt hatte, ein Streik in der Stahlindustrie sei leichter zu verkraften als ein zu hoher Abschluß. Und dann zitierte Steinkühler, begleitet von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert, das Plädoyer des Daimler- Benz-Chefs Reuter für mehr Härte in der diesjährigen Tarifrunde. Reuter, wie Steinkühler der SPD angehörend, hatte am 17.Januar zur Metalltarifrunde erklärt: „Wir müssen und werden eine Vier vor dem Komma anstreben. Und wir dürfen nicht den Fehler wiederholen, wegen eines halben Prozentpunktes mehr oder weniger einen Streik zu scheuen.“
Immer deutlicher werde, daß „der Ausgang des Kampfes in der Stahlindustrie Folgen haben wird für den Ausgang aller anderen Tarifauseinandersetzungen“ in diesem Jahr. Zwar gehört der Lohnkampf im Stahlbereich eigentlich noch zur Tarifrunde 1991, aber die Arbeitgeber haben nach den Worten des IGM- Verhandlungsführers, Lorenz Brockhues, die Gespräche „verzögert“, um 1992 einen „billigeren Abschluß zu bekommen“. Dieses Kalkül dürfte nun kaum noch aufgehen, denn „wenn sie uns in den Arbeitskampf treiben, wird es erfahrungsgemäß immer wesentlich teurer“, sagte Brockhues.
Steinkühler ging in seiner Rede auch auf die Frage nach dem „Teilen“ zugunsten des Aufbaus im Osten ein. Wer das Teilen mit der Lohnfrage verbinde, täusche die Menschen bewußt über die tatsächlichen Zusammenhänge. Zum Teilen mit den Menschen im Osten seien die Gewerkschaften bereit. Der „Lohnverzicht sei aber etwas ganz anderes“, denn dadurch finde nur „eine Verteilung zugunsten der Arbeitgeber statt“. Steinkühler schloß eine Einigung noch vor der Urabstimmung am Freitag aus. Noch am Freitagmorgen habe er vergeblich mit einem Stahlarbeitgeber telefoniert. Steinkühler wörtlich: „Die Zeit des Redens ist nun zu Ende, handeln ist ab heute angesagt.“
Daß bei der Urabstimmung über den Streik die erforderliche 75-Prozent-Mehrheit zustande kommt, ist so gut wie sicher. Alle befragten betrieblichen Funktionäre gehen davon aus. In Rheinhausen rechnet Stahlkocher Rainer Schuh mit über 90Prozent. Und auch Bernd Schimmeyer, Betriebsrat bei der Dortmunder Hoesch-Stahl AG, sieht in der 75-Prozent-Hürde „kein Problem“. Anders als etwa im Banken- oder Handelsbereich, steht bei einem Streik in der Stahlbranche auch wirklich alles still. Der hohe Organisationsgrad — etwa 120.000 der rund 136.000 Stahlbeschäftigten gehören der IG-Metall an — sorgt dafür. Die Totalblockade hat schon im letzten Stahlstreik 1978/79 funktioniert. Damals holten sich rund 60.000 Stahlarbeiter gut sechs Wochen lang für den Einstieg in die 35-Stunden- Woche kalte Füße vor den Werkstoren. 110 Millionen Mark hat der letzte Streik der Gewerkschaft gekostet. Pro Mann und pro Woche wird in diesem Jahr mit 420 Mark kalkuliert. Die Streikkassen sind gut gefüllt, am Geld dürfte der Kampf kaum scheitern. Nach Angaben der Autohersteller wird ein Streik in der Stahlindustrie auf die Autoproduktion relativ schnell durchschlagen. Ein Umstand, der über die Streikdauer wesentlich mitentscheidet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen