: Die Wunder von der Weser entzaubert
■ Heiß geschrieben: Die eiskalte Analyse von Werder Bremens „Karriere im kühlen Norden“ / Schatzkästlein für Fans
Die Wunder von der Weser sind nicht vom Himmel gefallen. Zugegeben: Donner und Blitz waren beim SV Werder dabei, mit vielen knalligen Toren: 6:2 gegen Spartak Moskau im Uefa-Pokal 1987, das 5:0 gegen Dynamo Berlin im Landesmeister-Cup 1989 oder das 5:3 in der Champions-League gegen den RSC Anderlecht 1994. Diese Fußball-Feuerwerke waren aber nur die Special-Effects einer geradlinigen Erfolgsgeschichte, die das Bremer Autorentrio Böhmert, Lemke und Rehhagel mit fester Hand geschrieben haben.
So jedenfalls ist es nachzulesen in einem neuen Fußball-Buch von Norbert Kuntze: „Werder Bremen – eine Karriere im kühlen Norden“. Die Ingredienzien des Aufstiegs: Die kühle Berechnung eines Narkosearztes, die produktive Unruhe eines hanseatischen Kaufmannsherzens, das eisenharte Personalregiment eines vom Fußball besessenen Trainers – ein erfolgsorientierter grünweißer Dreizack. Seit mehr als 13 Jahren werden diese Zutaten beim SV Werder stetig auf heißer Flamme gekocht, seit sieben Jahren zahlt es sich aus. Mit der Karriere im Norden mausert sich eine graue Maus zur erfolgreichsten Fußballmannschaft der Bundesrepublik, mutiert der verspottete „König Otto II.“ Rehhagel (zweimal zweiter in der Meisterschaft) zum europäischen Erfolgstrainer, verwandelt sich der SV Werder mit 38 Millionen Mark Gesamtumsatz 1993 zu einem Unternehmen mit mittelständischen Dimensionen und provoziert damit sogar den blanken Neid des Mustermanagers der Liga, Uli Hoeneß.
Diese Häutungen sind reizvoll. Sogar im geradlinigen Erfolg liegen eine 1:3-Niederlage gegen die Stuttgarter Kickers im Bremer Weserstadion nur wenige Wochen neben einem 2:0 über den AS Monaco im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger in Lissabon. Der Hintergrund für solche Achterbahnfahrten bietet einen reichen Fundus für üppige Geschichten, die Norbert Kuntze mit grünweißem Herzen zwar, aber auch mit Distanz und ganz entschieden eigenem Urteil beschreibt.
Das Buch zu lesen macht einen Heidenspaß. Es wimmelt von Anekdoten, ohne die der Fußball nicht so eine runde Sache wäre (sagte einmal Otto Rehhagel Rudi Völler: Du, Rudi, wenn du alles alleine machen willst, dann gehen wir anderen jetzt nach Hause und gucken am Samstag in der Sporteschau, was du so ausgerichtet hast...). Trotzdem gerät das Niveau nie auch nur in die Nähe eines sentimentalen Heimatschinkens, von denen es unter den Fußballbüchern nur so wimmelt.
Haupterzählstrang sind die wichtigsten Spiele der letzten sieben Jahre, die in der Verknüpfung mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen eine mustergültige Verflechtung zum Leben außerhalb des Stadions haben. Die Chronologie wird dann gelegentlich von „Einwürfen“ unterbrochen, die sich einem Spezialthema zuwenden. Glänzend ist dort die Analyse der Rehhagelschen Personalpolitik: Billig einkaufen, teuer verkaufen, No-names verpflichten und mit alten Routiniers zusammenbringen: Sport und Vermarktung harmonieren so auf ganz wunderbare Weise und disharmonieren oft mit gutem Stil im Umgang mit Menschen. Nein, Leichen pflastern nicht den Weg zum Erfolg des SV Werder, allerdings steht das nach außen gekehrte Idyll einer grünweißen Familie, die vom Verein so gerne beschworen wird, in krassem Gegensatz zu dem Umgang mit einzelnen Spielern, die aus Bremen regelrecht abgeschoben oder weggeekelt worden sind. Norbert Meier war nicht der einzige.
Was es sonst noch so gibt in diesem Schatzkästlein für alle Fans, die über die Zeiten grünweißer Bettwäsche hinaus sind: ein Kapitel über Jugendförderung, das den grünweißen Erfolg erschreckend plausibel macht. Einblick in die Ostkurvenkultur und die Südtribünen-Schickeria, ein weiteres Kapitel Vereinsgeschichte (die ersten 90 Jahre) und ein Portraitversuch über Otto Rehhagel, der sich natürlich nicht bereit erklärt hat, für das Bild Modell zu sitzen. Immerhin: Es ist auch aus dem Kopf gut gelungen.
mad
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