: Die Würde der Frau und der neue § 218
Erstes Treffen zur Beratung eines neuen § 218 zwischen den Parteien / SPD will das Thema in den Wahlkampf bringen, falls keine Einigung erfolgt / CDU-Entwurf zu Lasten der Frau ■ Aus Bonn J. Albrecht
Die Lektüre des Gesetzesvorhabens der CDU zum neuen Abtreibungsrecht überrascht. Es ist, als hätte es nie eine Diskussion, nie einen parteiübergreifenden Gruppenantrag und nie ein Bundesverfassungsgerichtsurteil gegeben. Es ist, als hätten die Autoren keinen Schimmer davon, was das Bundesverfassungsgericht für rechtens erklärt hat. Nun wird alles noch einmal neu, vollkommen neu, geregelt — und was springt dabei raus? Kein Wort von der Entscheidungsfreiheit der Frau. Kein Wort davon, daß die höchsten Richter die Leine ein wenig gelockert haben, an der die Frauen bis dato gebunden waren und ihnen, nur ihnen, die Entscheidung über den Abbruch zugesteht.
Wir wollen es also noch einmal erklären, was denn nun das BVG gesagt hat und uns fragen, wieso die CDU das nicht verstehen will. Prinzipiell gilt, daß die Frauen eine Schwangerschaft austragen sollen, weil dem befruchteten Ei ein eigenständiges Recht auf Leben zusteht. Demgegenüber stehen die Rechte der Frau, ihr Persönlichkeitsrecht, ihre Würde — und die Erkenntnis, daß nur mit, aber nicht gegen sie ein Fötenschutz zu gewährleisten ist. Diesen Konflikt versuchten die Richter dahingehend zu lösen, daß der Frau zwar die Rechte des Ungeborenen in einem Beratungsgespräch beigebracht (erläutert) werden sollen, sie aber ansonsten selbst zu entscheiden hat, was sie tut. Auf die Feststellung, ob sie gute oder schlechte Gründe hat, wird verzichtet. Wo früher die Notlagenindikation stand, die die Abtreibung gerechtfertigt sein ließ, steht heute die „Letztentscheidung“ der Frau. Die weitverbreitete Urteilszusammenfassung: „rechtswidrig aber straffrei“ ist also falsch. Es ist offen, ob ihr Abbruch rechtswidrig oder rechtmäßig ist, niemand darf sich mehr anmaßen, dies feststellen zu wollen.
Nun gut, das alles hat die CDU anscheinend nicht verstanden. Sie liefert ein Gesetzesvorhaben, wonach die Beratung — jetzt „Konfliktberatung“ — den größten Raum einnimmt und ein extra Gesetz in Anspruch nimmt. Das Szenario ist dem eines anständigen Gruselfilms ähnlich. „Die Beratung muß darauf hinweisen, daß dem Schutz des ungeborenen Lebens grundsätzlich der Vorrang gebührt und daß der Abbruch der Schwangerschaft nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt.“ Bei den Ausnahmefällen wird auf Paragraph 218a Strafgesetzbuch verwiesen, wo die medizinische, embryopathische und die kriminologische Indikationen geregelt sind. Kein Wort also von der „Letztentscheidung“ der Frau, kein Wort davon, daß es sehr wohl gute — und auch von der Rechtsordnung akzeptierte — Gründe gibt, die einen Schwangerschaftsabbruch legitimieren können. Daß es überhaupt einen straflosen Abbruch gibt, wird versteckt in Absatz fünf des Paragraphen 218 festgestellt.
„Über den Entwurf der CDU werden wir nicht sprechen, der ist eine Katastrophe“, meint Ulla Schmidt (SPD), die bei einem Gespräch am Mittwochabend dabei war. Einige wenige Vertreter des früheren Gruppenantrags (Jürgen Meyer, Jürgen Schmude, Inge Wettig-Damielmeier, Uta Würfel, Susanne Rahardt-Vahldieck) waren zusammengekommen, um das Material und die verschiedenen Vorstellungen zu sichten und zu sehen, ob und in welcher Richtung man sich einigen könnte. „Wir haben allgemein die Fronten abgeklärt“, so Schmidt, „weder wurde etwas verbaut, noch wurde etwas festgelegt.“ Sie sagt aber auch: „Notfalls machen wir daraus ein Wahlkampfthema.“ Das allerings ist nicht das Ziel. „Wir wollen das so schnell wie möglich regeln, aber nicht zu Lasten der Frauen“, sagt Inge Wettig-Danielmeier (SPD) „sonst leben wir lieber mit dem jetzigen Richterrecht.“
Auch den Entwurf der FDP, der am letzten Montag von Uta Würfel vorgestellt worden war, kann die SPD nicht unterstützen. Es sei doch verwunderlich, so Ulla Schmidt, daß Uta Würfel nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil gerufen habe: „Wir haben gewonnen“, um nun ein vollkommen neues und umfangreiches Gesetz vorzulegen. Bei ihrem Entwurf hat die FDP-Frau sich zwar eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten, herausgekommen ist aber ein 16seitiges Papier, was all das aufnimmt, was im Urteil nur als Erläuterung gedacht war. „Ich wollte“, so die Abgeordnete, „ein für alle Frauen verständliches Gesetz machen.“ Offensichtlicher Nachteil: Sie regelt mehr, als sie eigentlich muß.
Auf dem abendlichen Treffen wurde vereinbart, daß man nun die Juristen hinzuzieht, damit sie sondieren, was nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil „Unverzichtbares“ und was nur „Erläuterndes“ ist. Am 20. Oktober wird man sich zu einer weiteren Gesprächsrunde treffen.
„Wir werden keinen eigenen Entwurf vorlegen“, sagen die SPD- Frauen. Nicht nur, weil sie nicht bereit sind, nach dem Mühsal mit dem Gruppenantrag noch mehr von ihren Überzeugungen zu abweichen. Auch weil es dessen nicht bedürfe. Nach ihrer Vorstellung werden die bestehenden Gesetze nur um die „unverzichtbaren“ Details ergänzt.
Wie würde dann das neue Abtreibungsrecht aussehen? Der Paragraph 218a des Strafgesetzbuches würde zunächst einmal feststellen, daß Schwangerschaftsabbrüche „nicht tatbestandsmäßig“ sind, wenn der Abbruch innerhalb der 12-Wochen-Frist erfolgt, eine Beratung stattgefunden hat und der Arzt sich ebenfalls über die Beweggründe der Frau hat aufklären lassen. In einem weiteren Paragraphen wäre die Beratung selbst geregelt. Auch die SPD wird nicht darum herumkommen, die Beratung derart auszuformulieren, daß dabei der „hohe Wert des vorgeburtlichen Lebens“ betont wird. Daß in einem Gesetz aber auch von der „Letztentscheidung“ der Frau die Rede sein müßte, davon hört man auch bei der SPD nichts. Immerhin will sie aber auf die Feststellung dringen, daß die Frau nicht gezwungen werden darf, ihre Gründe zu nennen. Sie will betonen, daß die Beratung ermutigen und nicht einschüchtern soll. Diesen Hinweis sollte die Union sich vielleicht zu Herzen nehmen. Ließt man ihren Entwurf, ist jede Frau entmutigt und eingeschüchtert. Die Würde der Frau, eine der Betonungen des Bundesverfassungsgerichts, kommt hier wahrlich zu kurz.
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