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Die Wünsche des Herzens

■ „Blind Date“: das Musicaltheater als kesser Kontakthof

Es sind Millionen, Myriaden stolzer, starker Singles, die in den Großstädten ein selbstbestimmtes Leben in freigewählter größter Freiheit leben – unbelastet von Beziehungsproblemen, Familienstreß, Kinderplagen. Millionen, Myriaden stolzer, starker Singles, die sich doch nichts sehnlicher wünschen als eine Beziehung – und sei sie rein sinnlicher Natur. Was hier gilt, gilt in Amerika schon lange und umgekehrt, deshalb läßt sich das US-amerikanische Musical Blind Date, das am Samstag Premiere hatte, auch so treffend ins Deutsche übertragen – und funktioniert im Imperial Theater an der Reeperbahn mit garantiertem Wiedererkennungseffekt.

Drei Frauen und drei Männer irren und wirren da durch den Großstadtdschungel der vielseitigen Einsamkeiten. Sie suchen Partner per Video, üben sich mit Cassetten zum Thema „Anmache für Anfänger“ und vergucken sich, wenn sie – oh Graus – im durchorganisierten Leben plötzlich doch unverhofft vor einem allein zu Haus verbrachten Abend stehen – in die freundliche Nachbarin. Gleich acht verschiedene Autoren und Komponisten hat Blind Date, und so wirkt es auch: wie ein dauerndes witziges Brainstorming im großen Kreis. Keine durchgehende Geschichte wird erzählt, dafür eine Unzahl Figuren aufgefahren, die ganze Bandbreite städtischer Flora und Fauna. In der dauernden Verwandlung zeigt das schön stimmige Ensemble alles was es kann: Annette Fischer als Kim hat die ganze Last des Frischgeschiedenseins auf ihren Schultern, Sonia Franke als Tina die ganze Frechheit der ganz Expliziten zu Verfügung. Alex Melcher wird als Louis von seinem Cassettenrecorder gefoltert und Frank Thannhäuser als Robert von einem verliebten Zwerg verwöhnt, den er im Carmen-Miranda-Kostüm am Elbtunnel auflas. Den Ansatz eines roten Fadens und das Zentrum des Abends liefern aber Yvonne Ritz Andersen und Willi Welp mit ihren Figuren, den Nachbarn aus dem anonymen Mietshaus. Nico Rabenalds Regie häuft gute Einfälle und macht den Abend zu einem schnellen Quietschvergnügen, das frech und komisch besser ist, als in den sentimentalen Momenten. Das Ganze, in den schrillen 60er-Outfits von Karin Alberti und auf der wandlungsfähigen Bühne von Johannes Wienand, ist ein leichter Genuß. Und das wohl vor allem wenn die Claqueure nicht da sind, die im Rang so lärmten, daß die Ohren schmerzten. tom

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