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Die Wirtschaft kommt zuerst

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Vietnam ist vor allem ein Sieg für US-Firmen / Vietnam erhofft sich Investitionen und Rückendeckung gegen China  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Der Vietnamkrieg kann 20 Jahre nach der Flucht der letzten US-Amerikaner aus Saigon offiziell als beendet gelten. Daß gestern der US-Präsident und ehemalige Kriegsdienstverweigerer Bill Clinton die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Vietnam verkündet hat, ist ein Sieg für die US-Wirtschaft.

Fünf Jahre lang hatten ihre Lobbyisten die Regierung in Washington bearbeitet: Seit die ökonomische Öffnung auch in Vietnam begonnen hatte, tummeln sich dort taiwanesische, koreanische, malaysische und japanische Investoren und die US-Firmen mußten fürchten, den Einstieg in einen künftigen Boom-Markt zu verpassen. Mit diesem Argument zogen sie Clinton auf ihre Seite – gegen die Veteranen und Anghörigen von im Krieg vermißten US-Soldaten (immer noch 1.618 Mann), die den einstigen Kriegsgegner mit einem Bann belegen wollten, bis daß der letzte Knochen gefunden ist.

Clinton hatte den US-Unternehmen schon vorab die Tür nach Vietnam geöffnet, als er im Februar 1994 das Embargo aufhob. Die ersten amerikanischen Firmen standen schon Stunden nach diesem Beschluß in Hanoi auf der Matte. Inzwischen sind die Vereinigten Staaten mit 33 Projekten im Wert von insgesamt 525 Millionen US-Dollar (735 Millionen Mark) der achtgrößte Auslandsinvestor in Vietnam. Der volle Einstieg der US-Firmen in Vietnam wurde jedoch durch das Fehlen diplomatischer Beziehungen behindert. Jetzt können in Vietnam produzierende Firmen auf Zollvergünstigungen hoffen, und US-Unternehmen können staatliche Hilfen wie Exportkredite in Anspruch nehmen.

Ein riesiger Markt öffnet sich in dem Land, das inmitten einer boomenden Wirtschaftsregion liegt. Noch sind weite Teile des Landes ein Freilichtmuseum für archaische Verpackungs- und Transportmethoden. Doch gerade die Infrastruktur wartet auf Modernisierung; Rohstoffe – nicht zuletzt Öl vor der Küste – gibt es nicht zu knapp. Für ausländische Investoren besonders interessant ist das „Humankapital“: mit niedrigsten Löhnen (35 Dollar im Monat), dabei aber einem dank des kommunistischen Erbes hohen Ausbildungs- und Gesundheitsniveaus sind vietnamesische Arbeiter optimal für kapitalistische Investoren. In Wirtschaftskreisen werden sie anerkennend als die „Preußen Asiens“ bezeichnet.

„Die Wirtschaft kommt zuerst“ – dieses durchaus kapitalistische Motto, dem auch Präsident Clinton mit seiner Entscheidung gefolgt ist, hat sich der vietnamesische Ministerpräsident Vo Van Kiet ebenfalls schon zu eigen gemacht. Mit einigem Erfolg. Die Volkswirtschaft wächst mit jährlichen Raten von acht bis zehn Prozent, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus: Pro Kopf erwirtschaftete eine Vietnamesin oder ein Vietnamese im Jahr 1993 ein Sozialprodukt von 200 Dollar.

Die kapitalistische Entwicklung zeigt inzwischen ihre bekannten Schattenseiten: Die Kluft zwischen arm und reich wächst, in den letzten Monaten kam es häufiger zu Streiks und Protesten. In dieser Situation hofft die Regierung in Hanoi auf ausländisches Geld, nun eben auch aus den USA. 45 bis 50 Millionen Dollar an Investitionen seien in den kommenden fünf Jahren notwendig, rechnet der stellvertretende Finanzminister Pham Van Truong. Der Schulterschluß mit den USA hat noch einen anderen Sinn: Ausgerechnet vom alten Feind erhofft sich Vietnam nun Rückendeckung gegen einen noch älteren Feind: China.

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