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Die Wiederkehr der Schießscheibe

■ Eine Lesung zur Ausstellung in der Galerie Inselstraße

Aus der Verbannung zurück kommt ein Maler. Er saß eigentlich immer zwischen den Stühlen. Wo er sich recht wohl fühlte.

Von Sieghard Pohl zu reden bedeutet, von der DDR zu sprechen. Sieghard Pohl auszustellen beinhaltet, die Vergangenheit auszustellen. Der Maler Sieghard Pohl tritt dabei freilich hinter den Ausgebürgerten zurück. Ob ihm das gerecht wird, bleibt fraglich.

Geboren 1925 in Breslau, später Gefangenschaft, dann 1953 Studium am Institut für Kunsterziehung Leipzig bei Elisabeth Voigt und Hans Schulze; 1961 und 1965 Verhaftung wegen Anfertigung »staatsfeindlicher Bilder«, wurde 1965 nach Westberlin entlassen und lebt dort seitdem als Kunsterzieher und Maler. 1979 veröffentlichte er im Verlag »europäische Ideen« zusammen mit seiner Frau das Buch »Die ungehorsamen Maler in der DDR«. Diesen muß er zugerechnet werden, wie er es selbst auch tut. Seit seiner Exilierung hat er mehrmals und ausschließlich in Berlin (West) veröffentlicht. Die Exposition »Schießscheibenobjekte« nun markiert seine Rückkehr in den (ehemaligen) Osten. Doch er tritt nicht mehr nur als Maler an: heute wird er aus seinem Buch »extra muros« lesen; Kurzprosa, verlegt in Koblenz 1990.

Zurück in den ehemaligen Osten wurde Pohl vom »Verband der Kunstwissenschaftler und Kunstkritiker« geholt, jener Nachfolgeorganisation des Verbandes Bildender Künstler, der ihm einstmals das Leben schwer gemacht hatte. Ironie ist dies ganz gewiß nicht. Hier sagen lediglich die alten Herrschaften wieder Guten Tag, egal, wo man vorher gestanden hat. Man ist eben immer noch da.

Auch Sieghard Pohl ist immer noch da. In der Galerie Inselstraße 13 stellt er Zeichnungen, Aquatinta und Linolschnitte aus den Jahren 1963-1974 aus; Malereien aus dem Jahr 1991 und Objekte von 1983-1991. Pohl zeigt das »Chile-Portrait eines Putschistengenerals« (Feder 1973), seine berüchtigten zehn Linolschnitte nach Borcherts »Hundeblume« (1963), die Federzeichnung »For amnesty international« (1973); an Malereien den Zyklus »Revolutionen« (Acryl 1989-91); an Objekten den Schießscheibenzyklus von 1983-1991.

Pohls Ausstellung rächt sich mit der ganzen Wut des Ausgebürgerten am Osten der Stadt. Er zeigt dem Publikum, von dem er nicht zu Unrecht annimmt, daß es sich recht unvermischt aus Besuchern aus dem Ostteil der Stadt zusammensetzt, was er gelitten hat unter der Sprachlosigkeit all der Jahre; er zeigt ihm sein Credo und seinen politischen Standpunkt. Doch mehr nicht.

Dafür erläutert Pohl seinen Standpunkt umso nachdrücklicher und ausführlicher. Er unternimmt dazu eine Reise an den Ort seiner Verwundung, Podelzig, von dem er mit dem Bahnhofsschild zurückkehrt, in dem noch russische Kugeln gesteckt haben sollen, wie ein Klappentext zu bereichten weiß. So entsteht eines der Schießscheibenobjekte. Einige der senkrecht aufgestellten Objekte — wie »Schnüffelnase — ich liebe Euch doch alle« — tragen sehr entsprechend den Namen »Feldzeichen«. Sein letztes Feldzeichen nennt Pohl »1991«. So knapp, so rückschlußreich ist dieser Titel — was war 1991?

Die aus Alltagsmaterialien und alten Schrankwänden zusammengezimmerten Objekte verschiedener Bezeichnung sind von grobschlächtiger und zorniger Assoziationskraft. Pohl kann nichts vergessen — weder Chile, noch Podelzig, noch den Reichsadler. Er vergißt weder das 750jährige Jubiläum der Stadt Berlin, weder Mielke, weder die Guillotine. Auch Damokles kann Pohl nicht vergessen, wie es ihm auch nicht bei den Helden der Antike gelingt, die für ihn stumpfsinnige Schlächter sind (1963). Für Sieghard Pohl ist die Menschheitsgeschichte eine Geschichte der Irrungen und des Terrors. Sieghard Pohl will uns aufrütteln. Allerdings nur durch seine Gesten, nicht durch seine Kunst. Volker Handloik

Die Lesung findet heute um 11 Uhr statt, Inselstraße 13, 1020, statt anläßlich der Ausstellung (bis 17.5., Mo-Fr 11-19, Sa 10-14 Uhr)

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